Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
dem Fall zu tun hat, hat anzugeben, wo er sich zur Tatzeit befand. Das lernt man doch im ersten Jahr seiner Ausbildung.«
Kilian feuerte den Hörer zurück auf die Gabel.
»Meine Güte. Was sind das hier nur für Pfeifen? Fragen einfach nicht nach dem Alibi. Wo gibt’s denn so was?«, sprach er zu sich selbst.
»Ich wette, bestimmt nicht bei Ihren Kollegen in München«, sagte Heinlein, der unbemerkt ins Zimmer getreten war.
Er ging ruhig an seinen Schreibtisch, setzte sich und legte das Sektionsprotokoll der zweiten Leiche auf den Tisch.
»Nein, bestimmt nicht«, herrschte Kilian ihn an. »Das lernt man …«
»Ja, ich weiß. Das lernt man«, fuhr ihm Heinlein in die Parade. »Aber mit Anschreien kommen Sie auch nicht zu einem Alibi. Der Kollege hat sich so verhalten, wie er dachte, dass es angebracht ist.«
»Na bravo. Angebracht. Wunderbar. Nur mit ‹angebracht› überführen Sie keinen Mörder.«
»Sagen Sie«, konterte Heinlein ruhig, »was ist eigentlich mit Ihnen los? Seitdem Sie hier sind, haben Sie an allem und jedem etwas auszusetzen. Das passt Ihnen nicht und jenes erst recht nicht. Wieso sind Sie eigentlich noch hier, wenn alles nur scheiße ist?«
»Das frage ich mich auch.«
Er sprang auf, schmiss Heinlein die Akte Tiepolo auf den Tisch und verschwand durch die Tür. Schneider konnte ihm gerade noch ausweichen. Er wollte Kilian noch etwas nachrufen, doch Heinlein winkte ab.
»Lass ihn. Er ist auf der Flucht«, sagte Heinlein.
»Wovor flüchtet er?«
»Gute Frage … Was gibt’s, Ralf?«
»Ich habe die Namen auf der Liste durchtelefoniert, die von Korrassow in den letzten zwei Jahren eine Feder gekauft haben.«
»Und?«
»Vier von denen sind gerade im Ausland beschäftigt. Zwei sind tot, einer sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl, und der Achte soll den Job aufgegeben haben.«
»Wer ist das?«
»Ein gewisser Ronald Furtwanger. Gemeldet in Passau. Zurzeit arbeitet er als Aushilfe im Chase.«
»In unserem Chase?«
»In unserem Chase.«
»Wie hast du das rausbekommen?«, wunderte sich Heinlein.
»Als ich bei der angegebenen Nummer angerufen habe, meldete sich so ein komischer Typ, der wohl vorübergehend in der Wohnung von Furtwanger wohnt. Richtig schleimig war
der. Er hat mir gesagt, dass er in Würzburg sei und im Chase arbeitet.«
Schneider gab Heinlein die Liste und wartete unsicher auf weitere Instruktionen.
»Gut«, sagte Heinlein, »das hast du gut gemacht.«
Schneider war erleichtert. »Puh, und ich dachte schon, du machst mich auch zur Sau so wie der Kilian grad eben.«
»Mach dir nichts draus. Der Kollege hat Probleme.«
»Womit?«
»Wenn ich das wüsste …«
*
Kilian wählte zum wiederholten mal die 306, doch Giovanna wollte nicht abnehmen. Enttäuscht warf er den Apparat zur Seite.
»Verdammt. Muss die denn wirklich jeden Abend arbeiten?« Er schaute auf die Uhr. Kurz nach halb zehn. Zu früh fürs Bett. Er entschloss sich, noch auf ein Bier zu gehen. Als er den Türgriff schon in der Hand hatte, klopfte es. Kilian öffnete, und Heinlein stand vor ihm.
»Heinlein?«, sagte Kilian überrascht. »Was führt Sie so spät zu mir?«
»Arbeit«, antwortete Heinlein kühl. »Ich habe die Liste mit den Namen gecheckt. Von den acht leben und arbeiten ein paar im Ausland, andere sind gestorben oder sitzen im Rollstuhl. Es bleibt aber einer übrig, der gerade in Würzburg ist. Ein gewisser Furtwanger. Er hat sich vor drei Wochen ein kleines Appartement in der Nähe der Musikhochschule gemietet. Er arbeitet dreimal die Woche im Chase. Heute auch.«
»Gut, dann los«, erwiderte Kilian, »ich war gerade auf dem Sprung in die Stadt.«
Die kurze Fahrt im Wagen verlief wortlos. Kilian wusste, dass er sich heute Nachmittag ungerecht gegenüber dem jungen Schneider aufgeführt hatte. Doch nach einer Entschuldigung war ihm nicht zumute. Er spürte, dass Heinlein auf ein paar klärende Worte von ihm wartete, doch er hatte einfach keine Lust, sich zu erklären.
Das Chase war für einen Wochentag gut gefüllt. An der Bar stand ein vornehmlich lifestyliges junges Publikum, das den Darstellern der Werbespots von Calvin Klein und den Musikclips von MTV ähnelte. Die Szene war grundsätzlich gut gelaunt, trendy und auf schnelle Kontakte aus. Sie konnten sich selbst bei ihrem Treiben auf den drei Monitoren zusehen, die über dem Durchgang zur zweiten Bar hingen.
Heinlein lehnte sich über die Bar und fragte den Ober, wo er Furtwanger finden konnte. Er wies auf den Durchgang.
In
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