Tierarzt
nachgelassen. Ich hoffte nur, daß die gut fünfundzwanzig Meilen weite Fahrt der Mühe wert gewesen war. Dinah, die hinten ausgestreckt auf einer Wolldecke lag, sah aus, als sei ihr alles egal. Vielleicht vergeudete ich meine Zeit, indem ich zu sehr auf den Ruf dieses Kollegen vertraute.
Kein Zweifel, Granville Bennett war in Nordengland zu einer Art Legende geworden. In einer Zeit, wo die Beschränkung auf ein Fachgebiet noch so gut wie unbekannt war, hatte er sich ganz auf die Behandlung von Kleintieren spezialisiert – Großvieh rührte er nicht an – und hatte durch die Anwendung moderner Methoden in seiner Tierklinik neue Maßstäbe gesetzt. Für Tierärzte gehörte es in der damaligen Zeit beinahe zum guten Ton, die Behandlung von Hunden und Katzen zu belächeln. Nicht wenige der älteren Veterinäre, die ihr Leben lang nur mit Pferden und Kühen zu tun gehabt hatten, standen auf dem Standpunkt: »Für Kleinzeug habe ich keine Zeit!« Bennett hingegen verfolgte genau die entgegengesetzte Praxis.
Ich kannte ihn bisher nicht persönlich, wußte aber, daß er ungefähr Anfang Dreißig war, und hatte viel über seine beruflichen Fähigkeiten, seinen Geschäftssinn und seinen Ruf als Lebenskünstler gehört. Er widmete sich, wie es hieß, mit gleicher Hingabe der Arbeit wie dem Vergnügen.
Die Tierklinik lag am oberen Ende einer verkehrsreichen Straße. Ich fuhr in den Hof und klopfte an einer Tür. Während ich noch ehrfurchtsvoll auf den funkelnden Bentley blickte, neben dem mein arg ramponierter kleiner Austin noch armseliger wirkte, wurde die Tür von einer hübschen jungen Dame in weißem Kittel geöffnet.
»Guten Abend«, murmelte sie mit einem Lächeln, das so bezaubernd war, daß es garantiert von vornherein eine zusätzliche halbe Krone auf der Rechnung ausmachte. »Bitte, kommen Sie herein. Mr. Bennett erwartet Sie.«
Sie führte mich in ein Wartezimmer mit Zeitschriften und Blumen auf einem Ecktisch und vielen eindrucksvollen Fotos von Hunden und Katzen an den Wänden – alle vom Chef persönlich aufgenommen, wie ich später erfuhr. Ich betrachtete mir gerade eine großartige Studie von zwei Pudeln, da hörte ich Schritte hinter mir. Ich drehte mich um und sah mich Granville Bennett gegenüber.
Er schien das Zimmer auszufüllen. Ein kräftig gebauter Mann, nicht übermäßig groß, aber von gewaltigem Umfang. Er hatte ein sympathisches, sehr männliches Gesicht und hielt zwischen den Zähnen die herrlichste Pfeife, die ich je gesehen hatte. Sie war riesig und hätte bei jedem anderen ausgesprochen lächerlich gewirkt, doch für ihn war sie genau richtig. Der Tabakgeruch war köstlich. Auf den gutgeschnittenen dunklen Anzug und die blitzenden Manschettenknöpfe konnte ich nur einen flüchtigen Blick werfen, denn schon streckte er mir die Hand hin.
»James Herriot! Wie schön, Sie endlich kennenzulernen. Sie werden Jim genannt, nicht wahr?«
»Ja, für gewöhnlich.«
»Sehr gut. Es ist alles vorbereitet, Jim. Die Mädchen warten schon im OP.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Bennett.«
»Granville, bitte nennen Sie mich Granville!« Er nahm mich beim Arm und führte mich in den Operationssaal.
Dinah, die bereits auf dem Tisch lag, sah recht jammervoll aus. Sie hatte eine Beruhigungsspritze bekommen und nickte schläfrig mit dem Kopf. Bennett untersuchte sie rasch.
»Mm. Ja. Fangen wir also an.«
Die beiden Mädchen traten in Aktion – sie waren gut aufeinander eingespielt. Bennett hatte eine Menge Personal, und die beiden auffallend hübschen Tierpflegerinnen wußten offensichtlich genau, was sie zu tun hatten. Während die eine den Tisch mit den Anästhetika und Instrumenten heranrollte, packte die andere geschickt Dinahs Vorderbein, ertastete eine Vene, schor die Stelle und desinfizierte sie.
»Pentothal«, sagte Bennett und ließ die Nadel mühelos in die Vene gleiten. Es war ein schnell wirkendes Betäubungsmittel, dessen praktische Anwendung ich noch nicht beobachtet hatte. Dinah sank langsam in sich zusammen und blieb bewußtlos auf dem Tisch liegen.
Während Bennett sich die Hände wusch und seinen Kittel anzog, rollten die Mädchen Dinah auf den Rücken und banden sie auf dem Operationstisch fest. Sie legten ihr die Äther- und Sauerstoffmaske an, dann rasierten sie die Operationsstelle und betupften sie mit Jod. Bennett trat an den Tisch und ließ sich ein Skalpell reichen.
Als er mit fast lässiger Geschwindigkeit die Haut, die Muskelschichten und das Bauchfell
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