Tierarzt
würde oder nicht.
In aller Frühe fuhr ich am nächsten Morgen wieder hin und ging schnurstracks zu dem Verschlag, in dem Monty lag.
Er saß aufrecht auf dem Brustkasten. Er war noch immer unter der Decke und der Strohschicht und blickte recht wehleidig drein, aber sobald ein Rind sich erst einmal auf die Brust gearbeitet hat, bin ich optimistisch. Meine Spannung löste sich. Das Tier hatte die Operation überlebt – der erste Schritt war getan; und als ich neben ihm kniete und ihm den Kopf rieb, hatte ich das Gefühl, daß wir es schaffen würden.
Und tatsächlich erholte Monty sich – ohne daß ich jemals eine wissenschaftliche Erklärung für die Frage gefunden hätte, wieso die Entfernung dieses filzigen Bällchens eine derart drastische Besserung, und zwar in jeder Richtung, bewirken konnte. Aber so war es. Das Fieber ließ nach, die Atmung wurde wieder normal, die Augen verloren ihren starren Blick, und die Glieder waren nicht länger steif.
Aber wenn ich es auch nicht verstehen konnte, war ich nichtsdestoweniger sehr froh. Wie ein Lehrer zu seinem Lieblingsschüler, faßte ich eine innige, besitzergreifende Zuneigung zu dem Stierkalb, und sooft ich auf Harry Sumners Hof kam, gönnte ich ihm einen Blick. Jedesmal kam Monty auf mich zu und musterte mich mit freundlichem Interesse, so als fühle auch er sich mir irgendwie verbunden.
Er war etwas über ein Jahr alt, als ich die Veränderung bemerkte. Das freundliche Interesse verschwand allmählich aus seinen Augen und wurde durch einen nachdenklichen, prüfenden Blick ersetzt; dabei schüttelte er den Kopf, als wolle er sagen, unsere Freundschaft sei zu Ende.
»Ich an Ihrer Stelle würde lieber nicht mehr zu ihm hineingehen«, sagte Harry eines Tages. »Wir haben es langsam mit einem vorwitzigen Stier zu tun.«
Aber vorwitzig war nicht das richtige Wort. Harry hatte über längere Zeit hinweg keinen Tierarzt gebraucht, und Monty war fast zwei Jahre alt, als ich ihn wiedersah. Auch jetzt ging es um keinen akuten Krankheitsfall, sondern Harry wollte nur, was für ihn ganz typisch war, nachdem kürzlich ein oder zwei Kühe gekalbt hatten, daß ich der ganzen Herde Blut abzapfen sollte, um die Proben auf Bruzellose zu untersuchen.
In gut einer Stunde hatte ich mich durch die Herde hindurchgearbeitet.
»Jetzt brauchen wir nur noch den Bullen«, sagte der Bauer, »dann sind wir fertig.« Er führte mich über den Hof zu dem Stall, in dem sich ganz hinten in der Ecke der Verschlag des Bullen befand. Harry öffnete die obere Hälfte der Tür, und als ich hineinsah, erstarrte ich.
Monty war riesenhaft. Der Hals mit den hervorstehenden Muskelhöckern trug einen Kopf, der so gewaltig war, daß die Augen winzig wirkten. Und in diesem Blick lag nichts Freundliches mehr, sondern die Augen funkelten böse und tückisch. Er stand seitlich zu mir, das Gesicht der Wand zugekehrt, aber ich merkte, daß er mich beobachtete, während er mit dem Kopf gegen die Wand stieß und mit den großen Hörnern drohend tiefe Kerben in die Tünche schnitt. Hin und wieder schnaubte er vernehmlich, aber sonst blieb er verdächtig still.
Harry grinste. »Nun, keine Lust, reinzugehen und ihm den Kopf zu kraulen?«
»Nein, vielen Dank.« Ich wandte zögernd den Blick ab von dem Tier. »Ich frage mich, was wohl passierte, wenn ich es täte.«
»Innerhalb einer Minute hätten Sie das Zeitliche gesegnet«, sagte Harry nachdenklich. »Er ist ein großartiger Bulle, so wie ich’s erwartet habe, aber sehr gefährlich. Ich trau ihm nicht übern Weg.«
»Und wie soll ich das Blut entnehmen?« fragte ich ohne große Begeisterung.
»Ich klemme seinen Kopf da in der Ecke fest.« Harry deutete auf ein metallenes Joch, das über dem Futtertrog in einer Maueröffnung hing. »Ich schütte Futter in den Trog, damit locke ich ihn.« Er verschwand, und kurz darauf sah ich ihn vom Hof aus Futtermehl in den Trog füllen.
Mit furchteinflößender Langsamkeit ging der Bulle auf den Trog zu und steckte seine Nase hinein. Rasch zog Harry den Riegel herunter, und das Joch schloß sich krachend.
»Ich hab ihn«, rief der Bauer, sich an den Riegel klammernd. »Sie können jetzt reingehen.«
Zögernd betrat ich den Verschlag. Auch wenn Harry den Bullen am Kopf festhielt, war mir doch bei dem Gedanken, allein mit Monty auf engstem Raum zusammen zu sein, höchst unbehaglich zumute. Und als ich an ihm vorbeiging und die Hand auf seinen Hals legte, spürte ich die Ausstrahlung von verhaltener Kraft und Wut. Ich
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