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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Weihnachtslieder anstimmen und anschließend an die Türen klopfen, um ihren Lohn in Empfang zu nehmen. Und am schönsten von allem gestern abend der Gesang des Methodistenchors draußen, der die stille Nachtluft mit sattem, erregendem Wohlklang erfüllt hatte.
    Ich beschloß, vor dem Schlafengehen noch einmal auf den Marktplatz zu gehen. Als ich das Haus verließ, fingen gerade die Kirchenglocken an zu läuten. Der Platz lag verlassen, das weiße Rechteck erstreckte sich glatt, kalt und menschenleer unter dem Mondlicht, und es lag ein Hauch von Dickens über den Häusern und Läden, die den Platz umstanden. Als sie errichtet worden waren, hatte noch niemand an Stadtplanung gedacht: hoch und niedrig, breit und schmal säumten sie, eng aneinandergepreßt, die Fläche, und ihre mit Schnee beladenen Dächer hoben sich wie ungleichmäßige Zacken von dem dunklen Himmel ab.
    Als ich, vom Klang der Kirchenglocken begleitet, über den knirschenden Schnee zurückging, hüllte mich das Wunder und Mysterium der Weihnacht ein. Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen: Die Worte nahmen eine bisher ungeahnte Bedeutung an, und ich sah mich plötzlich als winziges Teilchen im Plan des Lebens: Darrowby, die Bauern, die Tiere und ich erschienen mir zum erstenmal wie eine freundliche, beglückende Einheit. Ich hatte nichts getrunken, aber mir kam es vor, als schwebte ich die Treppe zu unseren Zimmern hinauf.
    Helen schlief schon, und als ich mich ins Bett legte, schwelgte ich noch immer in meiner Weihnachtseuphorie. Morgen würde es nicht viel Arbeit geben: Wir konnten lange schlafen – vielleicht bis neun – und den Tag in vollen Zügen genießen, der uns eine willkommene Atempause in unserem arbeitsreichen Leben bescherte. Beim Einschlafen meinte ich, Gesang zu hören, süß und wohlklingend wie der Methodistenchor – schlaf in himmlischer Ruh...
    Aber jetzt ertönte diese andere Glocke, die nicht aufhören wollte. Wahrscheinlich der Wecker. Als ich jedoch versuchte, ihn abzustellen, läutete es weiter, und ich sah, daß es sechs Uhr war. Dann war es also das Telefon. Ich nahm den Hörer ab.
    Eine metallische Stimme, energisch und hellwach, drang mir schmerzhaft ins Ohr: »Ist dort der Tierarzt?«
    »Ja, hier spricht Herriot«, murmelte ich.
    »Hier ist Brown, Willet Hill. Ich habe eine Kuh mit Milchfieber. Ich brauche Sie sofort.«
    »Gut, ich komme.«
    »Beeilen Sie sich.« Dann ein Knacken am anderen Ende.
    Ich drehte mich auf den Rücken und starrte zur Decke empor. Dies war also Weihnachten. Der Tag, an dem ich mich ein bißchen von der Welt hatte zurückziehen und in Festtagsstimmung schwelgen wollen. Ich war nicht darauf gefaßt gewesen, so brutal in die Wirklichkeit zurückgerissen zu werden, noch dazu von diesem Kerl, der nicht ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung vorgebracht hatte. Kein »Es tut mir leid, Sie aus dem Bett zu holen« oder etwas Ähnliches, ganz zu schweigen von »Fröhliche Weihnachten«. Es war schon ein wenig bitter.
    Mr. Brown wartete im Hof auf mich. Es war noch völlig finster. Ich war früher schon ein paarmal hier gewesen, und als ich ihn im Licht der Scheinwerfer dastehen sah, war ich wie stets beeindruckt von seiner kraftvollen Erscheinung. Er war ein großer, breitschultriger Mann von etwa vierzig, mit hohen Backenknochen und scharfen Zügen. Unter der karierten Mütze sah rotes Haar hervor, und ein rötlichbrauner Flaum bedeckte Wangen, Hals und Handrücken. Bei seinem Anblick verstärkte sich mein Gefühl der Müdigkeit nur noch.
    Er sagte nicht »Guten Morgen«, sondern nickte nur kurz und deutete mit dem Kopf in Richtung des Stalls. »Da drüben« war alles, was er sagte.
    Er sah schweigend zu, wie ich der Kuh die Spritzen gab, und erst als ich die leeren Flaschen in die Tasche steckte, fragte er:
    »Mit dem Melken ist es wohl heute nichts?«
    »Nein«, erwiderte ich. »Lassen Sie das Euter voll.«
    »Irgendein besonderes Futter?«
    »Nein, sie kann alles fressen, was sie will.« Mr. Brown war ein sehr gründlicher Mann und wollte es stets ganz genau wissen.
    Als wir den Hof überquerten, blieb er plötzlich stehen und wandte sich mir zu. Hatte er etwa die Absicht, mich zu einer Tasse heißen Tee ins Haus zu bitten?
    »Ach, noch eins«, sagte er, während ich in der eisigen Morgenluft knöcheltief im Schnee stand, »dieses Milchfieber ist in letzter Zeit ein paarmal vorgekommen. Vielleicht mache ich was falsch. Könnte es sein, daß ich meinen Kühen zuviel

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