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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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suchte nach der Drosselvene, beobachtete, wie sie anschwoll, und setzte die Nadel an.
    Der Bulle machte sich steif, rührte sich jedoch nicht, als ich die Kanüle in die Lederhaut stieß, und mit einem Gefühl der Erleichterung sah ich das dunkle Blut in die Spritze fließen. Gottlob hatte ich die Vene gleich beim erstenmal getroffen. Ich zog die Nadel heraus und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß die Sache so gut geklappt hatte. Da stieß der Bulle plötzlich ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus und drehte sich blitzschnell nach mir um. Ich sah, daß er ein Horn aus dem Joch gezerrt hatte, und wenn er mich auch nicht mit dem Kopf stoßen konnte, so doch mit der Schulter, und der Stoß traf mich mit voller Wucht, und ich fiel rückwärts zu Boden. Ich hörte Harry draußen rufen, und während ich mich hochrappelte und die rettende Tür des Verschlags zu erreichen versuchte, sah ich, daß es dem wie wild tobenden Tier fast gelungen war, auch das zweite Horn frei zu bekommen, und als ich mich schließlich auf dem Gang wiederfand, hörte ich am Klirren des Jochs, daß er sich endgültig daraus befreit hatte.
    Jeder, der einmal von einem schnaubenden, stampfenden Bullen mit annähernd einer Tonne Lebendgewicht verfolgt wurde, wird verstehen, daß ich mich sputete. Ich wurde von der Gewißheit angetrieben, daß Monty keine Gnade kennen würde, wenn er mich erwischte, und obwohl ich einen langen Öltuchmantel und Stulpenstiefel trug, glaube ich nicht, daß ein olympischer Kurzstreckenläufer die Strecke schneller geschafft hätte als ich.
    Ich erreichte die Tür zum Hof mit einem halben Meter Vorsprung, stürzte hinaus und schlug sie hinter mir zu. Das erste, was ich sah, war Harry Sumner, der außen um den Stall herumgelaufen war. Er war blaß vor Schreck. Ich konnte mein eigenes Gesicht zwar nicht sehen, aber ich spürte, daß mir alles Blut daraus gewichen war.
    »Mein Gott!« sagte Harry heiser. »Es tut mir schrecklich leid! Das Joch ist wohl nicht richtig zugeschnappt – dieser verdammte dicke Hals von dem Viech. Der Riegel ist mir aus der Hand gesprungen. Gott, bin ich froh, Sie zu sehen – ich dachte, er hätte Sie erwischt!«
    Ich blickte auf meine Hand, die noch immer die mit Blut gefüllte Spritze umklammert hielt. »Nun, jedenfalls habe ich die Probe, Harry. Ein Glück, denn ein zweites Mal kriegen Sie mich da nicht mehr rein! Das war dann wohl das Ende einer schönen Freundschaft, was Sie da eben miterlebt haben.«
    »Dieser verdammte Saukerl!« Harry horchte einen Augenblick auf die dumpfen Schläge von Montys Hörnern gegen die Tür. »Nach allem, was Sie für ihn getan haben. Das nennt man Dankbarkeit!«

Kapitel 12
     
    Dieser Klang war anders. Ich war beim Läuten der Glocken eingeschlafen, die vom Kirchturm her zur Mitternachtsmesse riefen, aber jetzt drang ein durchdringender, schriller Ton an mein Ohr.
    Es fiel mir schwer, das Gefühl der Unwirklichkeit abzuschütteln, das ich seit gestern abend empfand. Gestern – Heiligabend. Alle Erwartungen, die ich je von Weihnachten gehegt hatte, waren erfüllt worden, ich war tief bewegt. Diese Gemütsbewegungen waren in mir erwacht, als ich am Nachmittag in ein kleines Dorf gerufen wurde, wo hoher Schnee die einzige Straße, die Mauern und die Gesimse der Fenster bedeckte, in denen die Lichter der mit Flitterwerk geschmückten Tannenbäume rot, blau und golden glänzten; und auf dem Nachhauseweg fuhr ich in der Abenddämmerung unter den verschneiten Ästen einer Gruppe von dunklen Fichten hindurch, die so still und regungslos dastanden, als seien sie auf den weißen Hintergrund der Felder gemalt. In Darrowby war es bereits dunkel, die kleinen Läden um den Marktplatz waren mit Tannenzweigen geschmückt, und das Licht der Schaufenster fiel in einem sanften gelblichen Schimmer auf den niedergetretenen Schnee des Kopfsteinpflasters. Bis zur Unkenntlichkeit vermummt und vorsichtig Fuß vor Fuß setzend, damit sie nicht ausrutschten, machten die Leute ihre letzten Einkäufe.
    Ich hatte in Schottland viele Weihnachten erlebt, aber sie waren immer hinter den Neujahrsfeiern zurückgeblieben; man kannte dort nicht jene Atmosphäre unterdrückter Erregung, die damit begann, daß die Leute sich schon Tage vor dem Fest gute Wünsche zuriefen, daß farbige Lichter auf den einsamen Berghängen blinkten und die Bauersfrauen, die Füße unter einem Berg von Federn begraben, die fetten Gänse rupften. Und volle zwei Wochen lang hörte man die Kinder auf den Straßen

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