Tierarzt
Stelle die Jacke ausziehen und den Viehstall in einen Operationssaal verwandeln mußte.
Harry und ich machten uns daran, die Instrumente auszukochen, mehrere Eimer mit heißem Wasser bereitzustellen und in einem leeren Verschlag ein sauberes Strohlager zurechtzumachen. Obwohl das Stierkalb sehr geschwächt war, mußte ich fast sechzig Kubikzentimeter Nembutal injizieren, ehe es völlig betäubt war. Aber schließlich lag es, links und rechts von einem Strohballen gestützt, bewußtlos auf dem Rücken, die kleinen Hufe kraftlos in die Höhe gestreckt. Ich konnte beginnen.
Auf den Abbildungen und Diagrammen sieht alles immer ganz leicht und unkompliziert aus, aber es ist etwas anderes, wenn man in ein lebendes, atmendes Wesen schneidet, bei dem der Leib sich hebt und senkt und das Blut unter dem Messer hervorquillt. Der Labmagen, das wußte ich, lag gleich unterhalb des Brustbeins, ein wenig rechts davon, doch kaum hatte ich das Bauchfell durchtrennt, stieß ich auf eine glitschige Masse von Fett, und als ich sie beiseite schob, rutschte der linke Strohballen fort, Monty sackte zur Seite, was einen plötzlichen Erguß von Gedärmen in die Wunde zur Folge hatte. Ich legte die Handfläche auf die glänzenden rosa Schlingen, um zu verhindern, daß die Eingeweide meines Patienten sich auf das Stroh hinaus ergossen, noch ehe ich richtig angefangen hatte.
»Ziehen Sie ihn hoch, Harry, und schieben Sie das Stroh wieder ganz dicht heran«, stieß ich keuchend hervor. Der Bauer tat es sofort, aber das Gedärm kam mir immer wieder in die Quere, während ich nach dem Labmagen tastete. Offengestanden, ich war im Begriff, den Mut zu verlieren, und mein Herz klopfte heftig, da stieß ich plötzlich auf etwas Hartes. Es glitt hinter der Wand von einem der Mägen umher, aber ich wußte im Augenblick nicht zu sagen, welcher es war. Ich griff danach – es war der Labmagen, und das harte Ding im Inneren mußte der Haarball sein.
Ich schnitt den Magen auf und sah zum erstenmal die Ursache des Übels. Es war gar kein Ball, sondern eher eine runde Scheibe aus dicht verfilztem Haar, mit Heufasern und geronnener Milch vermischt und mit einer Paraffinölschicht überzogen.
Behutsam zog ich den Bezoar durch den Einschnitt heraus und ließ ihn zu Boden fallen. Nun mußte die Wunde noch genäht werden, und erst als ich die letzten Stiche machte, merkte ich, daß mir der Schweiß übers Gesicht lief. Ich stieß einen Seufzer aus, und Harry brach das Schweigen.
»Verdammt knifflig, was?« sagte er. Dann lachte er laut auf und klopfte mir auf die Schulter. »Ich wette, als Sie das das erste Mal machten, da haben Sie Blut und Wasser geschwitzt!«
Ich zog ein Stück Nahtseide durch die Wundränder und verknotete es. »Das stimmt, Harry«, sagte ich. »Mehr als Sie denken!«
Als ich fertig war, deckten wir Monty mit einer Pferdedecke zu und legten darüber noch eine dicke Schicht Stroh, so daß nur der Kopf herausschaute. Ehe ich den Stall verließ, wandte ich mich noch einmal nach dem regungslosen kleinen Tier um. Es wirkte winzig und sehr verletzlich in dem kahlen Verschlag.
Ich war den ganzen Tag über sehr beschäftigt, aber am Abend kehrten meine Gedanken immer wieder zu Monty zurück. War er schon aus der Narkose aufgewacht? War alles gutgegangen? Da mir jede praktische Erfahrung auf diesem Gebiet fehlte, wußte ich nicht, wie ein Kalb auf eine solche Operation reagierte. Trübe Gedanken quälten mich. Der Bulle ist die halbe Herde, sagt man, und die Hälfte von Harry Sumners künftiger Herde lag dort unterm Stroh – er würde nie wieder soviel Geld aufbringen können.
Kurz entschlossen setzte ich mich ans Steuer – ich mußte mich vergewissern, auch auf die Gefahr hin, mir eine Blöße zu geben und Unsicherheit zu zeigen, weil ich so viel Aufhebens von der Sache machte. Notfalls konnte ich ja immer sagen, ich hätte ein Instrument liegenlassen.
Ringsum war alles dunkel, als ich in den Verschlag kroch. Ich richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Strohhaufen. Als sich nichts rührte, ließ ich mich auf die Knie fallen und schob die Hand unter die Decke; zumindest atmete das Tier, wenn auch kein Augenreflex da war – entweder lag es im Sterben, oder es brauchte verteufelt lange, um wieder zu sich zu kommen.
Aus dem Küchenfenster fiel schwaches Licht auf den Hof, als ich zum Wagen zurückschlich. Niemand hatte mich gehört. Ich fuhr mit dem quälenden Bewußtsein fort, daß ich noch immer nicht wußte, ob die Sache gut ausgehen
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