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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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erfreut über die glückliche Geburt, rieb mir mit dem Handtuch kräftig den Rücken ab, während ich meine Hände wusch, und half mir dann, mein Hemd anzuziehen.
    »Das haben Sie großartig gemacht, junger Mann. Nun haben Sie aber auch eine Tasse Tee verdient.«
    In der Küche stellte Mrs. Homer einen dampfenden Becher vor mir auf den Tisch und lächelte mir zu.
    »Wollen Sie sich nicht neben meinen Mann setzen und einen Happen essen?« fragte sie.
    Nichts regt mehr den Appetit an, als in aller Morgenfrühe einem Kälbchen auf die Welt zu helfen, und so nickte ich zustimmend. »Vielen Dank, sehr gern.«
    Man hat immer ein gutes Gefühl nach einer erfolgreichen Entbindung, und ich seufzte zufrieden, als ich mich auf den Stuhl sinken ließ und zusah, wie die Frau mir Brot, Butter und Marmelade hinstellte. Ich trank meinen Tee, und da ich mich mit dem Bauern unterhielt, bemerkte ich nicht, was sie als nächstes tat. Doch als ich zwei riesige Scheiben reines weißes Fett auf meinem Teller liegen sah, merkte ich, wie ich starr vor Schreck wurde.
    Entsetzt zurückprallend, sah ich Mrs. Horner an einem großen Stück kaltem, gekochtem Schinkenspeck herumsäbeln. Aber es war kein gewöhnlicher Schinkenspeck, sondern er bestand zu hundert Prozent aus Fett ohne einen noch so schmalen Streifen von Magerem. Und er war ein kleines Kunstwerk, das konnte selbst ich erkennen, genau bis zum richtigen Augenblick gekocht, mit einer herrlichen goldgelben Kruste und auf einer blendendweißen Schüssel serviert... aber eben Fett.
    Sie legte zwei ähnliche Scheiben auf den Teller ihres Mannes und sah mich erwartungsvoll an.
    Ich befand mich in einer verzweifelten Lage. Ich wollte diese freundliche alte Frau auf keinen Fall kränken, aber ich wußte genau, daß ich das Fett nicht herunterbrachte. Vielleicht hätte ich einen kleinen Happen über die Lippen gebracht, wenn der Speck heiß und knusprig gebraten gewesen wäre, aber kalt, als gekochte, klebrige Masse... niemals.
    Mrs. Horner setzte sich mir gegenüber. Sie trug eine geblümte Morgenhaube, die in dem weißen Haar festgesteckt war, und jetzt streckte sie die Hand aus, neigte den Kopf zur Seite und drehte den Teller mit dem Speck etwas nach links, damit er besser zur Geltung kam. Dann wandte sie sich mir zu und lächelte. Es war ein freundliches, stolzes Lächeln.
    Es hat Gelegenheiten in meinem Leben gegeben, wo ich angesichts einer verzweifelten Lage mit Staunen festgestellt habe, wieviel Mut und Entschlußkraft ich notfalls aufzubringen imstande bin. Ich holte tief Luft, griff nach Messer und Gabel und schnitt beherzt ein Stück ab. Aber als ich im Begriff war, die fettige weiße Masse in den Mund zu schieben, schauderte ich, und meine Gabel blieb erstarrt in der Luft hängen. Da entdeckte ich das Glas mit Mixed Pickles.
    Fieberhaft löffelte ich gleich einen ganzen Berg auf meinen Teller. Sie enthielten so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann: Zwiebeln, Äpfel, Gurken sowie eine Vielzahl anderer Gemüsesorten, und das Ganze schwamm in einer kräftigen Soße aus Essig und Senf. Es dauerte nur einen Augenblick, den auf meiner Gabel aufgespießten Speck mit dem würzigen Gemisch zu überhäufen, dann schob ich die Gabel in den Mund, kaute alles gut und schluckte es hinunter. Der Anfang war gemacht, und ich hatte nichts geschmeckt, nur die Mixed Pickles.
    »Ein ausgezeichneter Speck«, murmelte Mr. Horner.
    »Köstlich!« stimmte ich ihm bei, während ich verzweifelt an der zweiten Gabelvoll kaute. »Einfach köstlich!«
    »Und Sie mögen auch meine Pickles.« Die alte Frau sah mich strahlend an. »Sie verschlingen sie ja förmlich. Das ehrt mich aber!« Sie lachte erfreut.
    »Ja, wirklich.« Ich sah sie mit tränenden Augen an. »So gute habe ich weiß Gott noch nie gegessen.«
    Rückblickend wurde mir klar, daß es eine der mutigsten Taten meines Lebens war. Ich hielt eisern an meinem Vorhaben fest, langte ein ums andere Mal in das Glas, kaute verbissen und weigerte mich beharrlich, über den Schrecken nachzudenken, der mir widerfuhr. Es gab nur einen einzigen kritischen Augenblick, als die Mixed Pickles, die sehr scharf waren und nicht dazu bestimmt, in großen Mengen verzehrt zu werden, mir völlig den Atem benahmen und ich einen heftigen Hustenanfall bekam. Aber schließlich näherte ich mich dem Ende. Heroisch brachte ich auch den letzten Bissen hinunter, trank einen großen Schluck Tee, und der Teller war leer. Ich hatte es geschafft.
    Und zweifellos hatte es sich

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