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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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niedersetzte. Wir waren inzwischen im Besitz eines Tisches – ich hatte ihn bei einer Auktion auf einem Gutshof gekauft und triumphierend auf dem Dach meines Wagens nach Hause transportiert –, und Helen hatte endlich den niedrigen Stuhl aufgegeben und sich den hohen Hocker angeeignet. Jetzt thronte sie dort oben und beförderte die Nahrung von weit unten zu ihrem Mund hinauf, während ich bequem auf dem Stuhl sitzen sollte. Ich glaube, ich bin von Natur aus kein selbstsüchtiger Flegel, aber ich konnte nichts dagegen tun.
    Es gab noch andere kleine Dinge. Die frische Wäsche, die jeden Morgen fein säuberlich für mich zurechtgelegt war: das sorgsam gebügelte und zusammengelegte Hemd, das Taschentuch und die Socken – so ganz anders als das Durcheinander während meiner Junggesellenzeit. Und wenn ich zu spät zu den Mahlzeiten kam, was häufig geschah, servierte sie mir mein Essen, aber statt fortzugehen und etwas anderes zu tun, ließ sie alles stehen und liegen, setzte sich zu mir und leistete mir beim Essen Gesellschaft. Ich kam mir dabei wie ein Pascha vor.
    Diese letzte Gewohnheit war mir ein Anhaltspunkt für ihr ganzes Verhalten. Ich erinnerte mich plötzlich, daß ich sie auch bei Mr. Alderson hatte sitzen sehen, wenn er einmal verspätet seine Mahlzeit einnehmen mußte: in der gleichen Haltung, einen Arm auf den Tisch gestützt, hatte sie dagesessen und ihm schweigend Gesellschaft geleistet. Und mir wurde klar, daß ich großen Nutzen aus ihrer lebenslangen Einstellung zog, daß der Mann im Haus die Hauptperson ist. So hatte sie es schon bei ihrem Vater gehalten. Obwohl er ein sanfter kleiner Mann war, der niemals etwas forderte, hatte sie freudig jeden seiner Wünsche erfüllt, und diese Verhaltensweise übertrug sie jetzt auf mich.
    Ich weiß noch, daß mir ein alter Bauer, als das Gespräch einmal aufs Heiraten kam, eindringlich geraten hatte: »Sehen Sie sich zuerst sehr genau die Mutter an, mein Junge.« Ich bin sicher, daß es ein guter Rat war. Aber wenn ich noch etwas hinzufügen darf, so möchte ich sagen, man sollte auch darauf achten, wie die Erwählte sich ihrem Vater gegenüber verhält.
    Als ich Helen nun zusah, wie sie von ihrem hohen Sitz herunterstieg und mir mein Frühstück machte, durchflutete mich wie so oft das beglückende Gefühl, daß sie zu jenen Frauen gehörte, denen es einfach Freude macht, einen Mann zu umsorgen, und daß ich allen Grund hatte, dem Schicksal dankbar zu sein.
    Und diese Fürsorge bekam mir sehr gut, ja, im Grunde zu gut, und ich war mir bewußt, daß ich den Teller voll Porridge mit Sahne lieber nicht aufessen sollte, schon gar nicht angesichts dessen, was sonst noch in der Pfanne brutzelte. Helen hatte bei unserer Heirat unter anderem als Mitgift ein halbes Schwein mitbekommen, und da eine Speckseite sowie ein riesiger Schinken oben auf dem Boden hingen, war ich also ständigen Versuchungen ausgesetzt. Einige Kostproben waren jetzt auf dem Feuer, und obwohl ich nie ein Anhänger eines üppigen Frühstücks gewesen bin, erhob ich keine Einwände, als sie noch zwei große braune Eier in die Pfanne schlug. Und ich protestierte auch nur schwach, als sie zum Schluß noch ein Paar besonders schmackhafte Räucherwürstchen hinzufügte.
    Als ich nach dieser reichhaltigen Mahlzeit ein wenig träge vom Tisch aufstand und meinen Mantel anzog, bemerkte ich, daß er sich nicht so leicht wie früher zuknöpfen ließ.
    »Hier sind deine Brote, Jim«, sagte Helen und reichte mir ein Päckchen. Ich fuhr heute nach Scarburn, wo ich für Ewan Ross den ganzen Tag Tuberkulinproben entnehmen sollte, und meine Frau hatte immer Angst, mir könnte, wenn ich den ganzen Tag unterwegs war, schwach vor Hunger werden.
    Ich gab ihr einen Kuß, stieg ein wenig schwerfällig die lange Treppe hinunter und verließ das Haus durch die Seitentür. Auf halbem Weg durch den Garten blieb ich wie immer stehen und blickte zu unserem Fenster hinauf. Droben tauchte ein Arm auf, der ungestüm ein Geschirrtuch schwenkte. Ich winkte zurück und ging weiter. Als ich den Wagen aus der Garage holte, merkte ich, daß ich leicht schnaufte, und fast schuldbewußt legte ich das Päckchen auf den Rücksitz. Ich wußte, was es enthielt: nicht nur belegte Brote, sondern eine Fleischpastete mit Zwiebeln, süße gebutterte Brötchen und – um mich noch weiter in Versuchung zu führen – ein großes Stück Ingwerkuchen.
    Kein Zweifel, daß mich in jener ersten Zeit, da ich unter Helens liebevoller Obhut stand, nur

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