Tierarzt
starrte mich eine Weile mit zorngerötetem Gesicht an.
»Dieser Schweinehund!« brüllte er. »Was, zum Teufel, bildet der Kerl sich eigentlich ein? Überschüttet mich erst mit den unflätigsten Beschimpfungen und hängt dann einfach ein, wenn ich ihm die Sache zu erklären versuche!«
Er schwieg, dann wandte er sich an mich. »Das will ich Ihnen sagen, James, niemals hätte er gewagt, so mit mir zu sprechen, wenn er mir hier gegenübergestanden hätte.« Er kam zu mir herüber und hielt mir die Faust unter die Nase. »Ich hätte ihm auf der Stelle den Hals umgedreht, das schwöre ich Ihnen!«
»Aber Siegfried«, sagte ich. »Und Ihr System?«
»Was für ein System?«
»Aber Sie wissen doch, die Methode, die Sie anwenden, wenn Ihnen jemand unangenehm kommt – sagten Sie nicht, Sie setzen ihm einfach mehr auf die Rechnung?«
Siegfried ließ die Hände sinken und sah mich nachdenklich an; seine Brust hob und senkte sich vor Erregung. Dann klopfte er mir auf die Schulter, ging zum Fenster und blickte eine Weile auf die Straße hinaus.
Als er sich mir wieder zuwandte, war sein Gesicht immer noch gerötet, aber er wirkte ruhiger. »Sie haben recht, James. Das ist die Lösung. Ich werde Barnetts Pferd beschneiden, aber das kostet ihn zehn Pfund.«
Ich lachte herzhaft. Damals war die durchschnittliche Gebühr für das Kastrieren eines Pferdes ein Pfund beziehungsweise eine Guinea.
»Worüber lachen Sie?« fragte mein Kollege mürrisch.
»Über Ihren Scherz. Zehn Pfund... ha, ha, ha!«
»Ich mache keine Scherze. Das kostet ihn zehn Pfund.«
»Aber ich bitte Sie, Siegfried, das können Sie doch nicht machen.«
»Sie werden’s erleben«, sagte er. »Der Kerl verdient eine Lektion.«
Zwei Tage später machte ich alles, was für eine Kastration gebraucht wurde, zurecht: Ich kochte den Emaskulator aus und packte ihn auf das Tablett, auf dem die anderen Utensilien, die gebraucht wurden, bereits lagen: Skalpell, Watterolle, Arterienklemme, Jodtinktur, Nahtmaterial, Tetanus-Antitoxin und Spritzen. Siegfried mahnte mich ununterbrochen, mich zu beeilen.
»Was machen Sie denn bloß so lange, James? Vergessen Sie nicht, eine Extraflasche Chloroform mitzunehmen. Und denken Sie auch an die Leinen, für den Fall, daß er nicht runtergeht. Wo haben Sie die Reserveklingen fürs Skalpell hingetan, James?«
Der Sonnenschein, der durch das Grün der Glyzinie vor dem Fenster des Sprechzimmers fiel und sich in den Instrumenten auf dem Tablett spiegelte, erinnerte mich daran, daß es Mai war und daß man nirgends sonst den Zauber eines Maimorgens so stark empfand wie in dem langen, schmalen Garten von Skeldale-House. Zwischen den hohen Backsteinmauern mit ihrem zerbröckelnden Mörtel und den alten Kappensteinen lagen der verwilderte Rasen, die Lupinen- und Hyazinthenbeete und die blühenden Obstbäume im hellen Sonnenlicht. Und hoch oben in den Zweigen der Ulmen krächzten die Krähen.
Nach einem letzten mißtrauischen Blick auf das Tablett, ob auch ja alles da sei, verließ Siegfried, die Chloroformmaske über die Schulter gehängt, das Haus. Ich stiefelte hinterdrein, und wir machten uns auf den Weg, der uns in einer knappen halben Stunde zu dem Anwesen führte. Wir fuhren durch das große Tor und dann weiter eine moosbewachsene, von Kiefern und Birken gesäumte Allee entlang bis zu dem alten Haus, das auf einer bewaldeten Anhöhe lag, von wo aus man einen Blick auf die sanft hügelige Hochmoorlandschaft hatte.
Niemand hätte sich einen besseren Platz für die Operation wünschen können: eine von hohen Mauern eingeschlossene Koppel mit einem weichen, üppigen Graspolster. Der zweijährige Hengst, ein prachtvoller dunkler Fuchs, wurde von zwei finsteren Gestalten hereingeführt, die haargenau zu dem Bild paßten, das ich von Mr. Barnett hatte. Ich weiß nicht, woher die Kerle stammten, in Darrowby jedenfalls sah man solche Gesichter nicht. Der eine war ein dunkelhäutiger Zwerg, der andere hatte rötlichgelbes Stoppelhaar und ein aufgedunsenes Gesicht.
Im Hintergrund sah ich die massige Gestalt Mr. Barnetts, der uns, die unvermeidliche Zigarette im Mund und den braunen Schlapphut auf dem Kopf, mit halbgeschlossenen Augen argwöhnisch beobachtete.
Dieses menschliche Trio bildete einen auffallenden Gegensatz zu der natürlichen Schönheit und Würde des Pferdes. Der große Fuchs warf den Kopf zurück, dann stand er da und sah uns gelassen an; sein Blick verriet Intelligenz, und die edlen Linien seines Kopfes und Halses
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