Tierarzt
innerhalb dieser vier Wände möchte ich sie erst recht nicht hören.« Er hielt inne, und sein Gesicht nahm einen tiefernsten Ausdruck an. »Schließlich leben wir von den Leuten, die in unsere Praxis kommen. Also, etwas Respekt schulden wir ihnen schon.«
»Ja, aber...«
»Schon gut, ich weiß, was Sie sagen wollen: nicht alle sind gleich nett, aber das darf Sie nicht stören. Sie kennen doch die alte Redensart: Der Kunde hat immer recht. Ich finde, das ist ein beherzigenswerter Grundsatz, und was mich angeht, ich halte mich immer dran.« Er sah zuerst Tristan, dann mich feierlich an. »Das ist also hoffentlich ein für allemal klar: hier in der Praxis wird nicht geflucht, und auf gar keinen Fall, wenn es sich um Patientenbesitzer handelt.«
»Sie haben leicht reden!« platzte ich erregt heraus. »Sie haben Barnett nicht erlebt. Ich kann einiges vertragen, aber...«
Siegfried neigte den Kopf zur Seite, und ein Lächeln von engelsgleicher Sanftmut zog über sein Gesicht. »Mein lieber Junge, jetzt fangen Sie schon wieder an. Sie dürfen sich von solchen Lappalien nicht aus der Fassung bringen lassen. Es ist leider nicht das erste Mal, daß ich Ihnen das sagen muß. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas von meiner Gelassenheit abgeben.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte, ich möchte Ihnen helfen, James, und ich werde es.« Er reckte sich. »Sie haben sich wahrscheinlich schon oft gefragt, weshalb ich niemals zornig werde oder mich aufrege.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich weiß, Sie fragen sich das. Nun, ich will Ihnen ein kleines Geheimnis verraten.« Sein Lächeln wurde verschmitzt. »Wenn ein Kunde mir grob kommt, berechne ich ihm einfach ein bißchen mehr. Statt in Erregung zu geraten wie Sie, sage ich mir, daß ich ihm zehn Shilling extra auf die Rechnung setzen werde, und das wirkt Wunder.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, glauben Sie mir, mein Lieber.« Er klopfte mir auf die Schulter, dann wurde er ernst. »Natürlich weiß ich, daß ich Ihnen gegenüber im Vorteil bin – ich habe von Natur aus ein ruhiges Temperament, während Sie bei jeder Gelegenheit die Beherrschung verlieren. Aber dem läßt sich abhelfen, glauben Sie mir. Sie müssen nur daran arbeiten, James. Sich sinnlos aufzuregen, nützt niemandem, das ist nur schlecht für Sie – Ihr ganzes Leben würde sich ändern, wenn Sie sich nur etwas von meiner Gelassenheit aneignen könnten.«
Ich mußte erst dreimal schlucken, bevor ich antworten konnte. »Vielen Dank, Siegfried. Ich will es versuchen.«
Für die Bewohner von Darrowby war Walt Barnett in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Er war kein Bauer, er war Schrotthändler und Fuhrmann, handelte mit allem, was ihm unter die Finger kam, angefangen von Linoleum bis zu Gebrauchtwagen. Doch eines konnten die Leute mit Sicherheit von ihm sagen: er hatte Kies, eine Menge Kies. Alles, was er anfasse, glücke ihm, hieß es.
Er hatte ein halbverfallenes ehemaliges Landhaus wenige Meilen außerhalb der Stadt gekauft, wo er mit seiner Frau, die natürlich nichts zu melden hatte, lebte und wo er einiges Vieh hielt: mehrere Rinder, ein paar Schweine und stets ein oder zwei Pferde. Er bediente sich reihum sämtlicher Tierärzte in der Umgegend – vermutlich, weil er von keinem viel hielt –, eine Einstellung, die, wie ich wohl behaupten darf, gegenseitig war. Körperliche Arbeit schien er so gut wie nie zu verrichten, denn man sah ihn praktisch täglich in seinem abgetragenen dunkelblauen Anzug, die Hände in den Hosentaschen, eine Zigarette im Mund und den braunen Schlapphut auf dem Kopf, durch die Stadt schlendern.
Wir hatten alle Hände voll zu tun und dachten nicht mehr an Walt Barnett. Am Donnerstag klingelte das Telefon. Siegfried nahm den Hörer ab, und schon nach wenigen Sekunden veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Selbst hier, am anderen Ende des Zimmers, konnte ich die laute, anmaßende Stimme deutlich vernehmen, die durch den Hörer drang, und ich sah, wie sich die Wangen meines Kollegen langsam röteten und sein Mund schmal wurde. Er versuchte mehrmals, ein Wort zu sagen, aber der Redeschwall auf der anderen Seite ließ es nicht zu. Schließlich hob er die Stimme und unterbrach sein Gegenüber entschlossen, woraufhin ein Knacken in der Leitung ertönte: sein Gesprächspartner hatte eingehängt.
Siegfried schmetterte den Hörer auf die Gabel und wirbelte herum: »Das war Barnett – wütend, weil wir ihn nicht angerufen haben.« Er stand da und
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