Tierarzt
meine Arbeit davor bewahrte, aus allen Nähten zu platzen. Dank der oft kilometerweiten Fußmärsche zu den abgelegenen Gehöften, die man, vor allem im Winter, nicht mit dem Wagen erreichte, und der schweren körperlichen Arbeit beim Kalben und Fohlen blieb es glücklicherweise bei einem leichten Engerwerden des Kragens und der gelegentlichen Bemerkung eines Bauern: »Bei Gott, Mann, das ist aber eine gute Weide, auf der Sie grasen!«
Und mit welch bewundernswerter Geduld ging sie auf meine kleinen Marotten ein. Ich hatte zum Beispiel von jeher einen ausgesprochenen Widerwillen gegen Fett, und so schnitt sie sorgfältig auch das kleinste Stückchen Fett von dem Fleisch ab, das sie mir servierte. Dieser Abscheu vor Fett, der schon beinahe krankhaft war, hatte sich, seit ich in Yorkshire lebte, nur noch verstärkt, denn damals in den dreißiger Jahren schienen die Bauern sich von nichts anderem zu ernähren. Ein alter Mann, der meinen stieren Blick bemerkte, als ich ihn zum Mittagessen genüßlich ein riesiges Stück gebratenen Speck verzehren sah, erklärte mir, er habe noch nie in seinem Leben mageres Fleisch angerührt.
»Ich habe es gern, wenn ich merke, wie mir das Fett das Kinn runterläuft«, sagte er mit leisem Kichern. Für mich war das eine ausgesprochen widerwärtige Vorstellung. Doch die einseitige Ernährung hatte ihm offensichtlich nichts geschadet, denn er war ein rüstiger Achtziger mit einem frischen rosigen Gesicht. Das gleiche traf auf Hunderte von anderen zu, die es genauso machten wie er. Vermutlich wurde durch die schwere körperliche Arbeit, die Tag für Tag geleistet werden mußte, das Fett in ihrem Organismus rascher verbrannt, doch für mich würde es den sofortigen Tod bedeuten, wenn ich es essen müßte, dessen war ich sicher.
Das aber war, wie ich bald erfahren sollte, lediglich eine fixe Idee von mir.
Eines Morgens wurde ich um sechs aus dem Bett geholt, um auf dem kleinen Gehöft des alten Mr. Horner einer Färse beim Kalben zu helfen. Als ich hinkam, stellte ich fest, daß das Kälbchen zwar eine ganz normale Lage hatte, aber zu groß geraten war. Ich halte nicht viel vom Ziehen, aber das Muttertier, das mit geschlossenen Augen dalag, brauchte offensichtlich Hilfe. In kurzen Abständen preßte es mit aller Kraft, und einen Augenblick lang kamen zwei kleine Füße zum Vorschein, die sofort wieder verschwanden, sobald es sich entspannte.
»Kommen die Füße allmählich weiter heraus?« fragte ich.
»Nein, seit über einer Stunde hat sich nichts verändert«, erwiderte der alte Mann.
»Und wann ist die Fruchtblase geplatzt?«
»Vor zwei Stunden.«
Kein Zweifel, das Kalb saß fest und wurde von Minute zu Minute trockener, und hätte die Färse sprechen können, so hätte sie wahrscheinlich gesagt: »Um Himmels willen, holt doch endlich dieses Ding aus mir heraus!«
Leider war Mr. Horner, abgesehen von seinem vorgeschrittenen Alter, ein wenig kräftiger kleiner Mann, der mir so gut wie nicht helfen konnte. Und auch mit einem Nachbarn durfte ich nicht rechnen, da der Hof auf einer einsamen Anhöhe weit weg vom nächsten Dorf lag. So mußte ich mich allein an die Arbeit machen.
Es dauerte fast eine Stunde. Nachdem ich eine dünne Schlinge um den Kopf des Kälbchens und durch sein Maul gelegt hatte, um zu verhindern, daß sich der Hals zusammenzog, holte ich das kleine Geschöpf behutsam Zoll um Zoll ans Tageslicht. Nicht so sehr, indem ich zog, sondern indem ich mich zurücklehnte und der Färse half, während sie preßte. Sie war ein ziemlich unterentwickeltes kleines Tier, und sie lag geduldig auf der Seite und nahm die Situation mit der Schicksalsergebenheit ihrer Gattung hin. Sie hätte nicht ohne Hilfe kalben können, und ich hatte die ganze Zeit über die befriedigende Gewißheit, daß ich tat, was sie wünschte und brauchte. Mir war bewußt, daß ich ebenso geduldig sein mußte wie sie, und so beeilte ich mich nicht, sondern wartete die normale Folge der Dinge ab: die kleine Nase, deren Nüstern beruhigend zuckten, dann die Augen, die mit einem besorgten Ausdruck in die fremde Welt hinausblickten, dann die Ohren und schließlich mit einem letzten Ruck das ganze Kälbchen.
Das Muttertier hatte offensichtlich nicht sehr gelitten, denn es wälzte sich sofort auf die Brust und begann mit sichtlichem Interesse, das Neugeborene zu beschnüffeln. Die Kuh war in besserer Verfassung als ich; Arme und Schultern taten mir weh, ich schwitzte und war ganz außer Atem.
Der Bauer, hoch
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