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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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industriellen Landwirtschaft der Kom mission mögliche Autoren für die Fachberichte emp fahlen, versuchten andere Vertreter der industriellen Landwirtschaft, eben diese Autoren davon abzubrin gen, mit uns zusammenzuarbeiten, und drohten ihnen, die Forschungsmittel für ihre Colleges oder Universi täten zu streichen. Wir stellten fest, dass die Industrie in allen Bereichen massiv Einfluss nahm: in der aka demischen Forschung, der Landwirtschaftspolitik, bei Regierungsbeschlüssen und bei deren Umsetzung.
    Die Strippenzieher der Massentierhaltung wissen, dass ihr Geschäftsmodell darauf angewiesen ist, dass der Verbraucher nicht sehen (oder davon hören) kann, was sie tun.

Die Erlösung
    VOM KORNSPEICHER dringen Männerstimmen zu uns herüber. Warum arbeiten sie nachts um halb vier? Maschinen springen an. Was für Maschinen sind das? Es ist mitten in der Nacht, und hier passiert etwas. Was passiert hier?
    »Hier ist eine«, flüstert C. Sie schiebt die schwere Holztür auf, ein Lichtrechteck fällt heraus, und sie tritt ein. Ich folge ihr und schiebe die Tür hinter mir zu. Das Erste, was meine Aufmerksamkeit erregt, sind die Gasmasken, die an der Wand hängen. Warum gibt es in einem Stall Gasmasken?
    Wir schleichen hinein. Drinnen sind Zehntausende Truthahnküken. Faustgroß, mit Federn in der Farbe von Sägemehl, sie sind auf dem mit Sägemehl ausgelegten Boden fast nicht zu sehen. Die Küken drängen sich in Grüppchen zusammen, sie schlafen unter den Wärmelampen, die die Wärme ihrer brütenden Mütter ersetzen sollen. Wo sind die Mütter?
    Diese Verdichtungen scheinen einem mathematischen Prinzip zu folgen. Ich reiße den Blick für einen Moment von den Vögeln los und betrachte das Gebäude: Beleuchtung, Futterautomaten, Ventilatoren und Wärmelampen in gleichmäßigen Abständen, ein perfekt eingestellter künstlicher Tag. Außer den Tieren selbst gibt es nichts, was auch nur ansatzweise natürlich wäre – kein Fleckchen Erde, kein Fenster, durch das das Mondlicht hereinfiele. Ich bin überrascht, wie einfach es ist, das anonyme Leben rundherum auszublenden und die Harmonie der Technik zu bewundern, die diese kleine, in sich geschlossene Welt so präzise reguliert, die Effizienz und Perfektion der Maschine zu sehen und die Vögel als Erweiterung oder Zahnrad dieser Maschine zu begreifen – nicht als Lebewesen, sondern als Teile. Sie anders zu sehen fällt schwer.
    Ich betrachte einen einzelnen Vogel, wie er darum kämpft, vom äußeren Rand des Grüppchens an der Wärmelampe in die Mitte zu gelangen. Und dann einen anderen, der genau unter der Lampe sitzt und anscheinend ganz zufrieden ist, wie ein Hund in der Sonne. Und dann wieder einen anderen, der sich gar nicht bewegt, nicht einmal atmet.
    Auf den ersten Blick sieht das Ganze gar nicht so schlimm aus. Es ist überfüllt, aber die Vögel wirken doch ganz munter. (Menschenkinder werden schließlich auch in überfüllten Tagesstätten gehalten.) Und sie sind niedlich. Die Freude darüber, endlich das zu sehen, was ich sehen wollte, und all diese Tierbabys sorgen dafür, dass ich mich ganz gut fühle.
    C. gibt in einer anderen Ecke des Stalls einigen schlecht aussehenden Küken Wasser, und ich gehe auf Zehenspitzen herum, sehe mich um und hinterlasse verwischte Fußstapfen im Sägemehl. So langsam fühle ich mich wohler bei den Puten und möchte näher an sie heran, sie womöglich sogar anfassen. (C.s erstes Gebot war, die Tiere nicht anzufassen.) Je näher ich sie betrachte, desto mehr sehe ich. Die Schnabelspitzen der Küken sind schwarz, ebenso wie ihre Krallen. Manche haben rote Flecken auf dem Kopf.
    Weil es so viele Tiere sind, brauche ich mehrere Minuten, bis ich merke, wie viele von ihnen tot sind. Manche sind blutverkrustet, manche voller entzündeter Stellen. Nach manchen wurde offenbar gehackt, andere sind ganz ausgetrocknet und liegen wie kleine Laubhäufchen beieinander. Manche sind deformiert. Die Toten sind die Ausnahmen, aber wohin man auch schaut, man sieht fast immer eins.
    Ich gehe zu C. – die zehn Minuten sind um, und ich habe nicht vor, das Schicksal herauszufordern. Sie kniet über etwas. Ich knie mich neben sie. Ein Küken liegt zitternd auf der Seite, die Beine von sich gestreckt, die Augen verkrustet. An einigen kahlen Stellen klebt Schorf. Sein Schnabel ist halb geöffnet, und der Kopf zuckt vor und zurück. Wie alt mag es sein? Eine Woche? Zwei? Ging es ihm schon sein ganzes Leben lang so, oder ist ihm etwas zugestoßen? Was

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