Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
offensichtlich über den Berg, und die Ärzte meinten, wir könnten ihn am nächsten Morgen mit nach Hause nehmen. Wir hatten dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen. Nachdem unser Sohn eingeschlafen war (mit meinen Schwiegereltern an seiner Seite), fuhren wir mit dem Aufzug nach unten und tauchten wieder in die Welt ein.
    Es schneite. Die Schneeflocken waren unnatürlich groß, sehr markant und langlebig: als hätten Kinder sie aus weißem Papier ausgeschnitten. Ohne Ziel schwebten wir wie Schlafwandler über die Second Avenue und landeten schließlich in einem polnischen Esslokal. Dicke Glasfenster blickten auf die Straße, und die Schneeflocken blieben mehrere Sekunden lang an ihnen kleben, bevor sie nach unten rutschten. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich bestellte. Ich erinnere mich nicht mehr, ob das Essen schmeckte. Aber es war die beste Mahlzeit meines Lebens.

[Menü]
Verstecken / Suchen
    In einer typischen Legebatterie hat jedes Huhn 0,043 Quadratmeter zur Verfügung – so viel wie dieses Rechteck. Die meisten freilaufenden Hühner in den USA haben ungefähr genauso viel Platz.

1.
Ich bin nicht der Typ, der mitten in der Nacht in eine Farm einsteigt
    ICH TRAGE SCHWARZ , mitten in der Nacht, mitten im Nirgendwo. Meine OP-Überschuhe stecken in orthopädischen Gummischuhen, an den zitternden Händen habe ich Latexhandschuhe. Ich klopfe mich ab und vergewissere mich zum fünften Mal, dass ich alles dabeihabe: Rotlicht-Taschenlampe, Lichtbildausweis, 40 Dollar Bargeld, Videokamera, eine Kopie des Paragrafen 597e des kalifornischen Strafgesetzbuchs, eine Flasche Wasser (nicht für mich), lautlos geschaltetes Handy, Signalhupe. Wir machen den Motor aus und rollen die letzten 30 Meter bis zu der Stelle, die wir uns früher am Tag ausgesucht haben, als wir mehrfach hier vorbeigefahren sind. Das ist noch nicht der beängstigende Teil.
    Ich begleite in dieser Nacht eine Tierschützerin, nennen wir sie »C.«. Erst als ich sie abholte, ging mir auf, dass ich mir jemand Vertrauenerweckenden vorgestellt hatte. C. ist klein und schmächtig. Sie trägt eine Pilotenbrille, Flip-Flops und eine Zahnspange.
    »Du hast aber viele Autos«, stellte ich fest, als wir bei ihr losfuhren.
    »Ich wohne im Moment bei meinen Eltern.«
    Wir fuhren den Highway hinunter, der von den Einheimischen »Blood Run« genannt wird; einerseits wegen der häufigen Unfälle, andererseits wegen der vielen Viehtransporter, in denen Tiere zum Schlachthof gebracht werden. C. erklärte mir, dass man manchmal einfach durch ein offenes Tor hineinspazieren könne, dass das heutzutage allerdings wegen der Biosicherheit und aus Angst vor »Unruhestiftern« immer seltener sei. Heute müsse man öfter über Zäune steigen. Manchmal würden Flutlicht und Alarmanlagen angehen. Ab und zu treffe man auf Hunde, manchmal seien sie nicht angeleint. Einmal sei sie einem Bullen begegnet, der frei zwischen den Stallungen herumlief und nur darauf wartete, herumschnüffelnde Vegetarier aufzuspießen.
    »Ein Bulle.« Das war halb ein Echo, halb eine Frage, mit keinerlei besonderer Absicht.
    »Ein männliches Rind«, sagte sie schroff und kramte in einer Tasche, in der anscheinend Zahnputzzeug war.
    »Und wenn uns heute Nacht ein Bulle begegnet?«
    »Wird schon nicht.«
    Hinter mir fuhr jemand zu dicht auf und zwang mich hinter einen Lastwagen, der mit Hühnern auf dem Weg zum Schlachthof vollgestopft war.
    »Aber mal angenommen.«
    »Dann bleibst du ganz still stehen«, riet mir C. »Ich glaube, was still steht, sehen sie gar nicht.«
    Falls die Frage lautete: Ist bei C.s nächtlichen Besuchen je etwas schiefgegangen?, dann lautet die Antwort: ja. Einmal fiel sie in eine Dunggrube, unter jedem Arm ein sterbendes Kaninchen, und steckte plötzlich bis zum Hals (wörtlich) in der Scheiße (wörtlich). Einmal verbrachte sie die Nacht in tiefschwarzer Dunkelheit mit 20 000 jämmerlichen Tieren und ihren Ausdünstungen, weil sie sich versehentlich selbst eingeschlossen hatte. Und einmal fing sich einer ihrer Begleiter eine fast tödliche Campylobacter-Infektion ein, als er ein Huhn aufhob.
    Auf der Windschutzscheibe sammelten sich Federn. Ich machte den Scheibenwischer an und fragte: »Was hast du denn da alles in der Tasche?«
    »Falls wir eins retten müssen.«
    Ich hatte zwar keine Ahnung, wovon sie sprach, aber es gefiel mir nicht.
    »Also, du glaubst, Bullen sehen nichts, was still steht. Wäre es nicht besser, wenn man das wirklich sicher wüsste? Ich will jetzt nicht

Weitere Kostenlose Bücher