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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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jedenfalls.«
    Brunetti hielt das zunächst für einen Scherz, eine ihrer üblichen Übertreibungen, merkte dann aber, dass dem nicht so war.
    »Tatsächlich?«, fragte er ungläubig.
    »Wenn es um Wahlen in diesem Land geht? Jederzeit.«
    »Und in anderen Ländern?«
    Diesmal fuhr sie sich mit beiden Händen durchs Haar und senkte den Blick auf die Schreibtischplatte, als wären dort die Namen aller Länder aufgelistet. Schließlich blickte sie auf und sagte, plötzlich gar nicht mehr zum Scherzen aufgelegt: »Da wohl auch, leider.«
    Er fand es an der Zeit, das Thema zu wechseln. »Ich möchte Sie bitten, mir ein paar Dinge herauszusuchen, Signorina.«
    Eben noch ein Mahnmal für den Tod der Demokratie, fand sie im Handumdrehen zum alten Tatendrang zurück. Er nannte ihr Giulia Borellis Namen und informierte sie über deren Verhältnis mit dem Ermordeten und ihre Arbeit im Schlachthof. Auch wenn er nicht an Vianellos Können zweifelte, wusste Brunetti doch, dass Signorina Elettra die Meisterin und Vianello nur der Lehrling war, und bat sie daher, auch über Papetti und Bianchi Erkundigungen einzuziehen.
    »Was meinen Sie, wird die Presse uns in dieser Sache zusetzen?«, fragte er.
    »Oh, die haben ja jetzt den Onkel«, sagte sie. »Also schreibt keiner was. Keiner ruft an.« Das war eine Anspielung auf den Mordfall, der zurzeit das Land erschütterte: Ein Mord innerhalb einer weitverzweigten Familie; die Eltern und der Rest der Verwandtschaft erzählten unterschiedliche Versionen über das Opfer und die Beschuldigten. Die Liste der Täter änderte sich von Tag zu Tag; so viele Leute drängten ins Rampenlicht, dass Presse und Fernsehen kaum noch nachkamen. Und wann immer ein gramgebeugtes Familienmitglied ein Foto des reizenden jungen Opfers in die Kamera hielt, mutierte es tags darauf durch die Enthüllungen eines weiteren Verwandten vom Trauernden zum Verdächtigen.
    In den Bars sprach man von nichts anderem; auf jedem Boot wurde der Fall diskutiert. Im Frühstadium, vor einem Monat, als die junge Frau gerade erst verschwunden war, hätte der Polizist in Brunetti am liebsten allen Passanten zugerufen: »Es war einer aus der Familie!« Aber er hatte striktes Stillschweigen bewahrt. Wenn jetzt jemand davon anfing, heuchelte er nicht einmal mehr Überraschung über die neuesten Entdeckungen und versuchte das Thema zu wechseln.
    Selbst bei Signorina Elettra machte er keine Ausnahme. »Falls doch jemand von der Presse anruft«, sagte er, »stellen Sie ihn zum Vice-Questore durch, ja?«
    »Selbstverständlich, Commissario.«
    Er hatte sie abgewimmelt, zugegeben, aber er wollte sich nicht schon wieder in eine Debatte über dieses Verbrechen verwickeln lassen. Er fand es beunruhigend, dass viele Leute heutzutage einen Mord nicht viel anders behandelten als eine Art primitiven Witz, auf den man nur mit Galgenhumor reagieren konnte. Vielleicht war diese Reaktion nichts anderes als magisches Denken, vielleicht drückte sich darin die Hoffnung aus, Lachen könne verhindern, dass so etwas noch einmal passierte oder dass dem Lacher etwas Ähnliches widerfuhr.
    Oder aber es handelte sich um den Versuch, zu verschleiern oder von sich zu weisen, was dieser Mord den Leuten vor Augen führte: Die italienische Familie als Institution war genauso Geschichte wie die handgemachten Gürtelschnallen und Tonschalen. Auch sie stammte aus einfacheren Zeiten, eine solide Einrichtung für Menschen, die vom Leben ein schlichtes Glück erwarteten. Heute hingegen waren auch Beziehungen und Vergnügungen schnelllebiger, und so war die Familie denselben Weg gegangen wie Kirchenchor und sonntäglicher Messebesuch. Lippenbekenntnisse wurden noch abgelegt, aber das alles waren nur noch Schatten aus der Vergangenheit.
    »Ich gehe in mein Büro«, sagte Brunetti abschließend. Oben angekommen, zog er seinen Stuhl ans äußere Ende des Schreibtischs, wo er den Computer hingestellt hatte, den er aus ihm selbst unerfindlichen Gründen immer noch als Signorina Elettras Eigentum betrachtete.
    Über die Vorgänge, die er am Vormittag hatte mit ansehen müssen, wollte er sich auf keinen Fall gründlicher informieren, umso mehr interessierte ihn die Situation der Landwirtschaft im Allgemeinen. Seine Neugier führte ihn nach Brüssel und Rom und mitten in die undurchdringliche Prosa der gesichtslosen Macher der Agrarpolitik.
    Als er genug davon hatte, beschloss er, sein Glück zu versuchen und sich nach Papetti umzusehen, dem Leiter des Schlachthofs in

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