Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
identifiziert«. Der Artikel nannte Navas Namen und Alter und erwähnte, dass er in Mestre gewohnt und eine private Tierklinik betrieben habe. Des Weiteren, dass er von seiner Frau getrennt gelebt und einen Sohn habe. Die Mordkommission der Polizei schließe einen privaten Racheakt nicht aus.
»›Vendetta privata‹?« Brunetti blickte erstaunt auf.
»Genau das will ich von Ihnen wissen, Commissario«, sagte Patta mit triefendem Sarkasmus. »Wer hat das ins Gespräch gebracht?«
»Seine Frau, seine Verwandten oder sonst wer, der mit dem Reporter gesprochen hat, falls es nicht auf dessen eigenem Mist gewachsen ist. Weiß der Himmel.« Brunetti überlegte, ob er darauf hinweisen sollte, dass es ebenso gut auch jemand aus der Questura gewesen sein könnte, aber Klugheit und Lebenserfahrung hielten ihn davon ab.
»Sie bestreiten also, dass das von Ihnen stammt?«, fragte Patta kühl.
»Vice-Questore.« Brunetti riss sich zusammen. »Es spielt keine Rolle, wo die das herhaben.« Immerhin kannte er Pattas Hirnwindungen zur Genüge und fuhr daher fort: »Wenn man darüber nachdenkt, ist ›privater Racheakt‹ doch wesentlich besser als die Annahme, es handle sich um einen Überfall auf den Nächstbesten.« Er hielt den Blick auf die Zeitung gerichtet, während er das sagte, als rede er nicht mit Patta, sondern mit sich selbst. Vermutlich ließ es Patta ohnehin kalt, wenn jemand erstochen und in einen Kanal geworfen wurde, solange das Opfer ein Einheimischer war. Wäre es ein Tourist, würde das Verbrechen ihn beunruhigen, und wenn es gar ein Tourist aus einem wohlhabenden europäischen Nachbarland wäre, dann würde es ihn in helle Panik versetzen.
»Möglich«, räumte Patta widerwillig ein; was Brunetti sogleich als Zustimmung interpretierte. Er faltete die Zeitung zusammen, legte sie vor Patta hin und setzte eine dienstbeflissene Miene auf.
»Was haben Sie bisher getan?«, fragte Patta schließlich.
»Mit seiner Frau gesprochen. Seiner Witwe.«
»Und?« Pattas Tonfall ließ es Brunetti nicht geraten erscheinen, sich mit ihm anzulegen.
»Sie hat mir von der Trennung der beiden erzählt; offenbar wollte sie die Scheidung. Er hatte ein Verhältnis mit einer Kollegin. Nicht an seiner Klinik, sondern in dem macello, wo er einen Nebenjob hatte; außerhalb von Preganziol.« Er wartete auf Zwischenfragen, aber sein Vorgesetzter nickte nur. »Seine Frau sagt, etwas habe ihn beunruhigt.«
»Etwas anderes als die Sache mit dieser Kollegin?«, fragte Patta.
»So machte es mir den Eindruck. Also wollte ich mir ein Bild von dem Ort verschaffen.« Mehr brachte Brunetti nicht heraus.
»Und?«
»Sehr unschön: Dort werden Tiere getötet und zerlegt«, sagte Brunetti schroff. »Ich habe mit der Frau gesprochen, die seine Geliebte gewesen sein muss.«
Patta kam mit einer Zwischenfrage: »Sie haben ihr hoffentlich nicht erzählt, dass Sie von der Affäre wissen?«
»Nein, Signore.«
»Was haben Sie ihr erzählt?«
»Dass er tot sei.«
»Wie hat sie reagiert?«
Darüber hatte Brunetti schon ausgiebig nachgedacht. »Ungehalten, weil wir sie erst so spät unterrichtet hätten, ließ sich aber nicht weiter über ihn aus.«
»Wozu auch?«, sagte Patta. Als er Brunettis Reaktion bemerkte, fügte er mit erstaunlichem Feingefühl hinzu: »Ich meine, von ihrem Standpunkt aus.« Dann wieder ganz der Alte, fragte er: »Wie kommt eine Frau überhaupt dazu, dort zu arbeiten?«
»Das weiß ich nicht, Signore«, sagte Brunetti, der sich das auch schon gefragt hatte.
»Mir scheint, viel haben Sie nicht in Erfahrung gebracht«, sagte Patta voller Genugtuung.
Das Gegenteil war der Fall: Brunetti hatte zu viel erfahren, aber darüber wollte er nicht reden, schon gar nicht mit seinem Vorgesetzten. Mit ernster Miene bemerkte er lediglich: »Schon möglich, Vice-Questore. Über seine Tätigkeit dort draußen habe ich nicht viel herausgebracht und über die Rolle dieser Frau auch nicht. Wenn sie denn ihre Finger im Spiel gehabt hat.« Mit einem Mal war er zu müde und – so ungern er sich das eingestand – zu hungrig, das Geplänkel mit Patta fortzusetzen. Sein Blick schweifte zu dem Fenster, das auf denselben campo hinausging wie das in seinem Büro.
Am liebsten hätte er Patta gefragt, ob er die Aussicht aus seinem Fenster auch schon mal als Symbol für den Unterschied zwischen ihnen beiden betrachtet habe. Beide sahen dasselbe, nur dass Brunetti es von höherer Warte betrachtete. Doch vielleicht war es klüger, Patta nicht darauf
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