Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
einer Miene, die vermutlich Rechtschaffenheit ausdrücken sollte, erklärte er: »Ich finde, alles in allem ist das ein fairer Preis.«
Nach einer gedankenvollen Pause bemerkte Brunetti: »Gewiss. So habe ich das noch nicht gesehen.«
»Das sollten Sie aber«, sagte Meucci, der offenbar das letzte Wort haben wollte.
Brunetti nahm sein Telefon und rief Pucetti an.
»Kommen Sie bitte in mein Büro, Pucetti, einen Zeugen abholen. Er soll unten auf die Abschrift seiner Aussage warten, um sie durchzulesen und zu unterzeichnen. Sie und Foa können als Zeugen fungieren.«
»Foa ist nicht da, Signore. Er hat seit einer Stunde Feierabend und ist längst zu Hause. Aber er hat mir die Liste gegeben«, sagte Pucetti.
»Was für eine Liste?« fragte Brunetti, in Gedanken noch ganz bei den Tieren.
»Die Adressen der Häuser am Kanal, Signore. So hat er es mir gesagt.«
»Ah ja, gut«, sagte Brunetti. »Bringen Sie die mir gleich mit rauf, ja?«
»Selbstverständlich, Commissario«, sagte Pucetti und legte auf.
30
Als Pucetti mit Meucci nach unten gegangen war, musste Brunetti sich zwingen, nicht sofort nach Foas Liste zu greifen. Zunächst einmal sollte er fertig lesen, was Signorina Elettra zu Signorina Borelli zusammengestellt hatte. Vier Jahre bei Tekknomed, von wo sie plötzlich unter unklaren Umständen wegging, nur um mühelos auf eine sehr viel besser bezahlte Stelle als Assistentin des Sohns von Tekknomeds Anwalt zu wechseln. Es war ein Vorurteil, eins, das er bei Patta verachtete, obwohl er ihm selbst erlag – was er nur Paola gegenüber zugeben würde und auch erst unter Folter, wenn man ihm Bambussplitter unter die Fingernägel trieb –, aber Brunetti fand, dass eine Frau, besonders eine so attraktive wie sie, in einem Schlachthof nichts verloren hatte. Aber da es nun einmal so war, galt es zu überlegen, was sie bewogen haben könnte, dort anzufangen.
Brunetti blätterte um und sah sich die Liste von Borellis Immobilien an. Weder ihr Gehalt bei Tekknomed noch das vom Schlachthof hätte genügt, auch nur eine davon zu kaufen, geschweige denn alle drei. Die Wohnung im Zentrum von Mestre hatte hundert Quadratmeter. Die beiden Wohnungen in Venedig waren etwas kleiner, konnten ihr aber, an Touristen vermietet, wenn sie sich geschickt anstellte, ein paar tausend Euro im Monat einbringen. Wenn sie diese Mieteinnahmen nicht bei der Steuer angab, verdoppelte sie damit ihr Gehalt beim macello, kein schlechtes Einkommen für eine Frau Anfang dreißig. Und sie verdiente – ein Ausdruck, der Brunetti in diesem Zusammenhang unangenehm war – an den Bauern, die kranke Tiere im Schlachthof ablieferten.
Unwillkürlich musste er an den Skandal denken, der vor einigen Jahren Deutschland erschüttert hatte, als nach der vorsätzlichen Verunreinigung von Hühnerfutter dioxinbelastete Eier auf den Markt gekommen waren. Damals hatte die Gastgeberin einer Dinnerparty, eine dieser Schickeriadamen, die mit jedem Lebensjahr naiver werden, in die Runde gefragt, wie man so etwas nur tun könne. Brunetti hatte sich sehr zusammenreißen müssen, ihr nicht über den ganzen Tisch hinweg zuzurufen: »Gier, du dumme Gans, Gier!«
Für Brunetti stand von jeher fest, dass die meisten Leute von Gier angetrieben werden. Von Sinneslust oder Eifersucht mochte man sich bisweilen zu Kurzschlusshandlungen hinreißen lassen, doch die meisten Verbrechen, insbesondere solche, die sich über einen längeren Zeitraum hinzogen, waren von Gier motiviert.
Er legte die Mappe beiseite und griff nach Foas Liste jener Anwohner zu beiden Seiten des Rio del Malpaga, deren Häuser über Wassertüren verfügten. Durch die Unterlagen des Ufficio Catasto hätte man sich stundenlang hindurchwühlen müssen, um diese Namen ausfindig zu machen.
Er überflog die erste Seite, ohne recht zu wissen, wonach er eigentlich suchte. In der Mitte der zweiten Seite sprang ihm der Name »Borelli« ins Auge. Ihm sträubten sich die Nackenhaare, und ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Er legte die Papiere behutsam hin und verbrachte einige Zeit damit, sie an der Vorderkante seines Schreibtischs auszurichten. Als das zu seiner Zufriedenheit erledigt war, richtete er den Blick auf die Wand gegenüber und versuchte, die neuen Informationen in verschiedene Szenarien einzufügen.
Schließlich griff er nach dem Telefon, las die Nummer vom Deckel der Aktenmappe ab und wählte. Beim dritten Klingeln ging sie ran.
»Borelli.« Direkt, sachlich, wie ein Mann.
»Signorina
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