Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
verständnisheischend an. »Mir lag wirklich daran, dass die wissen, dass ich keine Zulassung habe – ich wollte sicher sein, dass man mir nicht nachträglich einen Strick daraus dreht.« Meucci wandte den Blick von Brunetti ab und sah aus dem Fenster.
»Und? Hat man das?«, fragte Brunetti mit allen Anzeichen echter Anteilnahme.
Meucci drückte schulterzuckend seine Zigarette aus und wollte schon nach der nächsten greifen, als ein Blick Brunettis ihn davon Abstand nehmen ließ.
»Ich verstehe die Frage nicht«, wich Meucci aus.
»Hat jemand im macello versucht, diese Information gegen Sie zu verwenden?«
Wieder sah Brunetti den dicken Mann die Risiken einer Unwahrheit abwägen: Wo lauerte die größere Gefahr? Was würde ihn weniger kosten, die Wahrheit oder eine Lüge?
Wie ein Trinker, der zum Beweis seiner Besserung eine Flasche Whisky in den Ausguss schüttet, legte Meucci die zerknautschte Zigarettenschachtel neben das Aufnahmegerät auf Brunettis Schreibtisch. »Es war in meiner ersten Woche«, fing er an. »Da brachte ein Bauer aus Treviso ein paar Kühe, ich weiß nicht mehr, wie viele, vielleicht sechs. Zwei davon waren mehr tot als lebendig. Eine hatte ganz offenkundig Krebs, ein offenes Geschwür am Rücken. Die noch genauer zu untersuchen war überflüssig: Jeder Laie konnte sehen, dass sie krank war. Nur noch Haut und Knochen, extremer Speichelfluss. Die andere hatte virale Diarrhöe.«
Meucci sah nach den Zigaretten und beteuerte, eine Hand vor sich ausgestreckt: »Ich habe Bianchi, dem Schlachter, gesagt der Bauer müsse diese beiden Kühe wieder mitnehmen und notschlachten lassen.« »Schließlich war das mein Job. Die Tiere zu begutachten.« Er hob die Schultern, was man als Achselzucken oder auch als Versuch, sich aus dem beengenden Stuhl zu befreien, deuten konnte.
»Und weiter?«, fragte Brunetti.
»Bianchi sagte, ich soll bei den Kühen warten, und ging Signorina Borelli holen, die mich dann fragte, was los sei. Ich ließ einzig und allein verlauten, sie solle sich die Kühe ansehen und mir erklären, ob die gesund und zum Schlachten geeignet seien.« Er sprach mit einem Sarkasmus, den er sich Brunetti gegenüber nicht leisten konnte.
»Und was hat sie gesagt?«
»Sie würdigte die Tiere kaum eines Blickes.« Meucci, das spürte Brunetti, durchlebte die Szene im Schlachthof jetzt noch einmal. »Sie sagte«, begann er und beugte sich näher an das Aufnahmegerät heran, »sie sagte: ›Die sind ebenso tauglich wie Ihre Zulassung, Signor Meucci.‹« Er schloss die Augen. »Vorher hatte sie mich immer mit Dottore angesprochen. Da wurde mir klar, dass sie Bescheid wusste.«
»Und?«, fragte Brunetti nach einiger Zeit.
»Und dass ich geliefert war«, antwortete Meucci.
»Was haben Sie mit den Kühen gemacht?«, fragte Brunetti.
»Na was denn wohl?«, rief Meucci entrüstet. »Ich habe sie für gesund erklärt.«
»Verstehe.« Brunetti hatte schon den Kommentar »zum menschlichen Verzehr geeignet« auf den Lippen. Er erinnerte sich an die Aussage von Navas Frau, ihr Mann habe nur noch Obst und Gemüse gegessen. »Und dann?«, fragte er ruhig.
»Habe ich nur noch getan, was man mir gesagt hat. Was blieb mir denn anderes übrig?«
Darüber ging Brunetti hinweg. »Und wer hat Ihnen das gesagt?«
»Bianchi. Der hat mir gesagt, die durchschnittliche Ablehnungsquote liege bei drei Prozent, und daran habe ich mich gehalten: in manchen Monaten etwas mehr, in manchen etwas weniger.« Er rückte auf seinem Stuhl nach vorn. »Immerhin habe ich versucht, die schlimmsten auszusondern. Aber so viele waren krank. Keine Ahnung, was man denen zu fressen gibt oder mit was für Medikamenten man die vollpumpt, aber die Folgen sind entsetzlich.«
Brunetti verkniff sich die Bemerkung, dass dies Meucci nicht davon abgehalten habe, solche Tiere in die Nahrungskette einzuschleusen. Stattdessen hakte er nach: »Bianchi hat es Ihnen gesagt, aber irgendjemand muss es Bianchi gesagt haben.« Allmählich wurde er ungeduldig: »Nun reden Sie schon.«
»Ja, sicher«, sagte Meucci, griff nach den Zigaretten und steckte sich eine an. »Die Anweisungen bekam er von Borelli. Das steht fest. Und ich habe mich dran gehalten. Drei Prozent. Manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger. Aber immer in dem Bereich.« Es klang fast beschwörend, wie er das sagte.
»Haben Sie je darüber nachgedacht, von wem Signorina Borelli ihre Anweisungen bekommen könnte?«, fragte Brunetti.
Meucci schüttelte heftig den Kopf. »Nein.
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