Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
Borelli«, sagte er, »hier spricht Commissario Brunetti.«
»Ah, Commissario, ich hoffe, Sie haben alles gesehen«, sagte sie ohne Ironie oder einen Hintersinn.
»Ja, wir haben durchgehalten«, sagte Brunetti. »Aber ich bezweifle, dass wir alles gesehen haben, was dort vor sich geht.«
Jetzt musste sie erst einmal schlucken. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ob ich Sie richtig verstanden habe, Commissario.«
»Ich wollte damit sagen, dass wir uns von den Vorgängen im Schlachthof noch kein vollständiges Bild machen konnten, Signorina.«
»Oh«, machte sie.
»Ich möchte, dass Sie in die Questura kommen und mich aufklären.«
»Ich bin sehr beschäftigt.«
»Die Zeit für ein Gespräch mit mir können Sie sicher erübrigen«, sagte Brunetti kühl.
»Also, ich weiß nicht, Signore«, beharrte sie.
»Das würde die Sache vereinfachen«, meinte Brunetti.
»Inwiefern?«
»Weil ich sonst beim Richter einen Haftbefehl erwirken und Sie zwangsweise vorführen lassen müsste.«
»Zwangsweise, Commissario?« Sie versuchte ein kokettes Lachen, scheiterte aber kläglich.
»Zwangsweise.« Nicht kokett. Ohne zu lachen.
Signorina Borelli ließ Brunetti hinreichend Zeit, dem noch etwas hinzuzufügen, aber da nichts mehr kam, erklärte sie schließlich: »Das hört sich an, als sollte ich besser einen Anwalt mitbringen.«
»Wie Sie wünschen«, antwortete Brunetti.
»Du liebe Zeit, so ernst ist es also?«, sagte sie, aber Ironie war nicht ihre Stärke, und es klang ziemlich lahm.
Brunetti wusste, was jetzt in ihr vorging. Gier. Blindwütige, primitive Gier. Was ein Anwalt sie kosten würde! Wenn sie sich auch so herausreden konnte, erübrigte sich der Anwalt. Wozu also unnötig Geld ausgeben? Was konnte ihr so ein ahnungsloser Polizist schon anhaben?
»Wann soll ich kommen?«, fragte sie, plötzlich fügsam geworden.
»So bald Sie können, Signorina«, antwortete Brunetti.
»Nach dem Mittagessen hätte ich Zeit«, meinte sie. »Um vier?«
»Ausgezeichnet.« Brunetti achtete darauf, ihr nicht zu danken. »Dann erwarte ich Sie.«
Als Nächstes ging er zu Patta und unterrichtete ihn von Signorina Borellis Wohnung an dem Kanal, in dem man den Toten gefunden hatte. Er vergaß auch nicht, auf den fehlenden Schuh und die Schürfwunden an Navas Ferse hinzuweisen: »Vielleicht sollte sich die Spurensicherung das Haus einmal ansehen.«
»Natürlich, natürlich«, sagte Patta, als habe er das gerade selbst vorschlagen wollen.
Brunetti überließ es seinem Vorgesetzten, den richterlichen Beschluss zu beantragen, und ging in sein Büro zurück.
Um zehn vor vier rief der Wachmann von unten an und teilte Brunetti mit, er habe Besuch. Brunetti sagte, Vianello werde die Frau abholen; das hatte er mit dem Ispettore abgesprochen, weil er ihn bei der Vernehmung dabeihaben wollte.
Kurz darauf erschienen die beiden in seiner Tür: der große Mann und die kleine Frau. Brunetti hatte die Idee, seit sie ihm erstmals gekommen war, hartnäckig verfolgt. In Rizzardis Abschlussbericht wurden die Löcher in Navas Oberhemd und die Baumwollfasern in seinen Wunden ausdrücklich erwähnt. Demnach war er bei seinem Tod bekleidet, und es konnte sich nicht um einen Streit zwischen Liebenden gehandelt haben, jedenfalls keinen, der im Bett stattgefunden hatte. Der Einstichwinkel verlief von unten nach oben, also musste die Person, die hinter ihm gestanden hatte, kleiner als er gewesen sein.
Brunetti erhob sich der Form halber. Er begrüßte sie und wies auf die Stühle vor seinem Schreibtisch; Vianello wartete, und als sie Platz genommen hatte, setzte auch er sich und zückte sein Notizbuch. Sie sah nach dem Aufnahmegerät, dann zu Brunetti.
Brunetti schaltete das Gerät ein und sagte: »Danke, dass Sie vorbeigekommen sind, Signorina Borelli.«
»Sie haben mir keine große Wahl gelassen, nicht wahr, Commissario?«, sagte sie weder gereizt noch herzlich.
Brunetti ging weder auf ihren Ton ein, noch ließ er sich auf die Vorstellung ein, dass diese Frau jemals herzlich sein könnte. »Ich habe Ihnen erklärt, die Entscheidung liege ganz bei Ihnen, Signorina«, sagte er.
»Und meinen Sie, ich habe die richtige getroffen?«, fragte sie, als könne sie das Kokettieren nicht lassen.
»Das wird sich zeigen«, erwiderte Brunetti.
Vianello schlug die Beine übereinander und begann in seinem Notizbuch zu blättern.
»Könnten Sie mir sagen, wo Sie Sonntagnacht waren?«
»Da war ich zu Hause.«
»Wo genau, Signorina?«
»In Mestre, Via
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