Tiffany Duo Band 0119 (German Edition)
und stützte sich, alle Zurückhaltung vergessend, mit beiden Händen auf seinem Schreibtisch auf, beugte sich zu ihm vor und funkelte ihn bitterböse an. “Du kennst die Wahrheit ja gar nicht!”
Er riss die Augen auf. “Wirklich nicht?” Er hustete, dann richtete er sich in seinem Stuhl kerzengerade auf und presste die Arme auf die Armlehnen, wobei er die Stimme hob: “Von welcher Wahrheit redest du? Von der Tatsache, dass seine Mutter ein verwöhntes, selbstsüchtiges Mädchen war, das mit seinem lüsternen Benehmen seinen eigenen Ruf und den einer der vornehmsten Familien der Stadt zerstört hat? Oder von der, dass sie ihr Kind an dem Tag, an dem es geboren war, im Stich gelassen hat und weggelaufen ist? Ohne sich auch nur ein einziges Mal umzuschauen?”
Charly zitterte jetzt so sehr, dass sie fürchtete, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können, obwohl sie sich auf dem Schreibtisch aufstützte. Sie rauchte vor Zorn, ihre Worte zischten wie glühende Kohlen auf ihrer Zunge. “Ich will … meinen Sohn … sehen.”
“Selbstsüchtiges, boshaftes Mädchen.” Ihr Vater spuckte die Worte regelrecht aus. “Hast du denn überhaupt kein Schamgefühl?”
Sie war zu wütend, um sich einschüchtern zu lassen. “Hast du denn welches? Ich habe meinen Sohn
nicht
im Stich gelassen, das weißt du genau. Ich habe ihn zur Adoption freigegeben … weil mir vermeintlich kluge und mitfühlende Menschen dazu geraten haben, nicht zuletzt mein eigener Vater! Und ich habe es getan …”, sie schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende, “… ich habe es getan, damit er das warme, liebevolle Zuhause bekommt, das ich nie hatte.”
“Wie … kannst … du … es … wagen …”
“Wie kannst
du
es wagen! Was hast du getan,
Euer Ehren
? Hast du deinen Einfluss als Richter und deine Beziehungen dazu missbraucht, dir die Vormundschaft über meinen Sohn zu erschleichen? Hast du ihn selbst adoptiert?
Warum
in Gottes Namen? Warum hast du das getan?” Er antwortete ihr nicht, sondern starrte sie nur wie versteinert an. Sie spürte, dass ihr Sieg nahe war und lachte hart auf.
“Hast du wirklich geglaubt, dass du ihm ein besserer Vater sein könntest als ich eine Mutter? Wie? Wie hättest du es sein können, wo du nicht einmal mir, deiner einzigen Tochter, je ein guter Vater warst? Wie konntest du auf die Idee kommen, ihm mehr Liebe geben zu können als ich, wo du es doch schon bei mir nicht konntest? Alle Liebe und Zuneigung, die ich bekommen habe, habe ich von Dobrina bekommen. Du warst nie für mich da …
nie
.” Das letzte Wort hörte sich an wie ein schmerzerfüllter Aufschrei. Aber sie weinte nicht. Sie würde nie wieder weinen, nicht vor ihm. Nie wieder.
Sie wandte sich von ihm ab, ihre Stimme war so kontrolliert, dass sie spröde klang. “Wusstest du nicht, dass ich an den Abenden, nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht hatte und bereit war, ins Bett zu gehen, in meinem Zimmer saß und aus dem Fenster schaute, um das Licht in deinem Bürofenster zu sehen, nur damit ich mich dir nah fühlen konnte? Aber du hattest nie Zeit für mich. Du hast mir nie
zugehört
. Du hast nur verurteilt. Himmel, du hörst mir ja nicht einmal jetzt zu. Weißt du das eigentlich? Als ich hier hereinkam, war ich zum Kompromiss bereit. Alles, was ich wollte, war, ihn zu sehen, ich hätte sogar darauf verzichtet, ihm zu sagen, wer ich bin, du hättest mich als … als eine entfernte Cousine oder sonst etwas vorstellen können, es wäre mir egal gewesen. Ich wollte ihn einfach nur sehen. Aber wie immer hast du mir keine Gelegenheit gegeben, dir das zu sagen. Du warst nicht bereit, mir zuzuhören.”
Schließlich waren ihr die Worte ausgegangen. Am ganzen Körper wie Espenlaub zitternd, schnappte sie mit bis zum Hals klopfendem Herzen nach Luft und hielt dann den Atem an, während sie darum kämpfte, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Und in dieser plötzlichen Stille hörte sie einen erstickten Laut.
Sie drehte sich um, ruckartig wie eine kaputte Aufziehpuppe, und war plötzlich wie gelähmt vor Schreck. Ihr Vater war nach vorn auf die Schreibtischplatte gesunken, die Hände in die Hemdbrust gekrallt. Das, was sie von seinem Gesicht sehen konnte, hatte eine gefährlich blaue Farbe angenommen.
Charly konnte sich später nie erinnern, was sie daraufhin getan hatte. Das Nächste, was sie wusste, war, dass sie neben ihrem Vater kniete, der mit dem Rücken auf dem Boden lag, und Mund-zu-Mund-Beatmung machte, während sie mit aller
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