Tiffany Duo Band 0124
hatte, sie so klaglos über sich ergehen zu lassen. “Tut es sonst noch irgendwo weh?”, erkundigte sie sich auf Spanisch und berührte seine Rippen. “Hier?”
Er ächzte vor Schmerz und nickte. Er wurde wieder blass um die Nase.
“Verzeihung”, sagte sie. “Haben Sie sich beim Sturz den Kopf gestoßen?”
“Nein.”
“Gut.” Dann also keine Gehirnerschütterung. Er war wahrscheinlich von der Erschöpfung und dem Blutverlust ohnmächtig geworden. Sie stand schnell auf, wechselte das Wasser in der Schüssel und kehrte mit einem frischen Waschlappen zurück. Als sie sich neben ihn hinkniete, schlug er die Augen wieder auf. “Ich will Ihnen nur das Gesicht waschen”, sagte sie, diesmal auf Englisch.
Er nickte und schloss wieder die Augen.
Molly wusch ihm den Schmutz von der Stirn, wobei sie ein weiteres Mal diese dumpfe Vorahnung und starke Anziehungskraft verspürte, und zwar so überdeutlich, dass sie einen Moment innehielt. Es erschien ihr fast, als ob sie sich an dieses Gesicht erinnerte, als ob es irgendwo in ihrem Hinterkopf gelauert hätte, von ihr nur im Traum mit einem flüchtigen Blick erhascht.
Jetzt reicht’s aber, rief sie sich selbst zur Ordnung. Molly lächelte in sich hinein und tupfte behutsam die Schürfwunde an seinem Wangenknochen mit dem feuchten Waschlappen ab. Sie fragte sich vage, ob er eine Narbe zurückbehalten würde.
“Fertig”, sagte sie und ließ den Waschlappen in die Schüssel fallen. “Ruhen Sie sich jetzt ein bisschen aus … ich glaube nicht, dass Sie in den nächsten Stunden irgendwohin gehen können.”
Aber das sagte sie nur noch zu sich. Ihr Patient war schon wieder bewusstlos. Sie überlegte einen Moment, ob sie nicht vielleicht doch das Krankenhaus anrufen sollte. Oder gar den Sheriff … wenn ihr Bruder, Josh, herausfand, dass sie einen Ausländer in ihrem Haus versteckte, würde er außer sich sein.
Beim Gedanken an ihren Bruder spannten sich ihre Nackenmuskeln an. Es bewirkte, dass sie auf den Boden der Tatsachen zurückkehrte … was um alles in der Welt dachte sie sich eigentlich? Seine Angst, in ein Krankenhaus zu gehen, war ein Beleg dafür, dass der verwundete Mann entweder ein Krimineller oder ein illegaler Arbeiter war. Zwar glaubte sie sich sicher zu sein, dass Letzteres der Fall war, doch was war, wenn Ersteres zutraf? Wie auch immer, ihr Bruder würde das, was sie getan hatte, als Unterstützung einer kriminellen Handlung ansehen.
Und doch war sie selbst jetzt, als sie zum Telefon ging, seltsam zögerlich.
Josh war ihre größte Sorge. Als ein Hilfssheriff, der seine Aufgabe überaus ernst nahm — manchmal zu ernst für Mollys Geschmack —, würde er sich fürchterlich aufregen, wenn er entdeckte, was sie getan hatte. Bei Josh war das Problem, dass er die Welt nur in Schwarzweiß sah und nichts von den Grauzonen wusste, die für die meisten Menschen existierten.
Die zweite Sorge — dass der Mann schwerer verletzt sein könnte, als auf den ersten Blick angenommen — hatte sie eben ausgeräumt. Wenn sie einen Krankenwagen rief, würde man ihn abholen, für ein oder zwei Tage im Krankenhaus behalten und dann nach Mexiko abschieben. Aber man würde nicht mehr für ihn tun, als ihm ein sauberes Bett und Antibiotika gegen die Infektion zu geben.
Damit blieb noch der Gefahrenfaktor. Obwohl er in diesem Zustand keine Bedrohung war, hatte Molly nicht die geringste Ahnung, was er für ein Mensch war. Er konnte ein Mörder sein oder ein Drogendealer und noch eine ganze Menge mehr.
Noch immer unentschlossen, nahm sie den Hörer ab.
Als ob er ihre Gedanken gespürt hätte, regte sich der Mann jetzt und flüsterte mit rauer Stimme: “Josefina!”
Molly legte den Hörer zurück. Er war genau das, was er zu sein schien, ein mexikanischer Wanderarbeiter, der bei einer Polizeirazzia geflohen war. Ein Mann, der sich um einen geliebten Menschen ängstigte, von dem er getrennt worden war. Ein Mann, der verletzt genug war, um keine Bedrohung für sie darzustellen … zumindest im Moment nicht.
“Oh, wirklich, Molly”, sagte sie laut. “Sei ehrlich.”
Es war dieses Gesicht, das ihrer intimsten Vorstellungswelt zu entstammen schien, das sie aufhielt. Er rührte etwas in ihr an. Seelisch wie auch körperlich, dabei hatte sie schon geglaubt, dass sie längst vergessen hätte, wie prickelnd es war, plötzlich von einer Welle sexueller Anziehungskraft überschwemmt zu werden. Er hatte diesen schlanken, fast hageren, langgliedrigen Körper, der sie bei
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