Tiffany Duo Band 0147 (German Edition)
Ausschnittvergrößerung aus einem Schnappschuss, aber es war viel schärfer als das von letzter Woche. Es zeigte denselben kleinen Jungen und – ja, es war Michael!
Vor Aufregung begann sie am ganzen Körper zu zittern. Zwar hatte sie ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen, und natürlich veränderte sich ein kleines Kind in einem Jahr stark … Ja, ja, ja, sie kannte alle Argumente.
Dennoch – es konnte keinen Zweifel geben. Das war ihr Kind. Ihr Michael.
Er lebte!
Sie zitterte so sehr, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sie sank auf eine kleine Bank, legte den Kopf auf ihre Knie und versuchte, tief durchzuatmen. Aber ihre Gedanken wirbelten immer noch wild durcheinander. Wie war das möglich? Es war einfach nicht zu begreifen.
Dieser unsägliche Schmerz, die Beerdigung, die Trauer, die Depression. Und dabei war das Kind, das sie begraben zu haben glaubte, gar nicht tot.
Aber wen hatte sie dann begraben? Wer war das Kind in dem Grab?
An dem Foto war mit einer Büroklammer ein Brief befestigt. Sie faltete ihn auf und las ihn.
“Falls das Ihr Sohn ist”, las sie murmelnd, “glaube ich, dass ich mir eine Belohnung verdient habe. Kommen Sie am Montagabend um acht mit fünftausend Dollar in bar zu ‘Carlo’s’, 10 Azusa Street in Downtown Los Angeles. Ich warte dort auf Sie. Bitte kommen Sie allein. Wenn Sie die Polizei einschalten, kann ich Ihnen keine weiteren Informationen zukommen lassen.” Ihre Lippen bebten, als sie zu Ende las: “Ich beobachte Sie. Ein Freund.”
6. KAPITEL
Dominic war in diesem Jahr wahrscheinlich schon zum zehnten Mal im Gericht von West L.A. Die Gerichtssäle sahen alle gleich aus: braungetäfelte Wände, graue Sitzreihen für die Zuschauer, schäbiger Linoleumfußboden. Heute wurde gegen Joe Hogan, einen Burschen mit einem ellenlangen Strafregister verhandelt.
Joe behauptete steif und fest, dass es sich bei der Person, die von der verdeckten Kamera des Juweliergeschäfts gefilmt worden war, nicht um ihn, sondern um seinen schon vor langer Zeit untergetauchten Zwillingsbruder handelte. Die Tatsache, dass man Joe mit dem gestohlenen Schmuck erwischt hatte, versuchte er damit zu erklären, dass ihn sein Zwillingsbruder in eine Falle gelockt hätte.
Zu ihrer Ehre musste gesagt werden, dass sich die Pflichtverteidigerin leidenschaftlich für den Angeklagten einsetzte. Doch nicht mit Erfolg. Nach zwei Stunden war die Verhandlung beendet, und Dominic konnte gehen.
Eigentlich hätte er jetzt sofort quer durch die Stadt zurück nach West Hollywood fahren müssen. Aber er war in West L.A., ganz in der Nähe von “Riches and Rags”.
Jordan fiel ihm ein. Oder besser gesagt, sie fiel ihm wieder ein, denn schon den ganzen Vormittag im Gerichtssaal hatte er an sie denken müssen. Als er sich am Samstagabend von ihr verabschiedet hatte, hatte sie versprochen, ihn am Sonntag anzurufen. Sie hatte jedoch nichts von sich hören lassen. Jetzt war es Montagmittag. Er ging zu einem Münztelefon und fragte auf dem Revier nach, ob jemand eine Nachricht für ihn hinterlassen hätte.
Nichts von Jordan.
Na gut, dachte er, während er auflegte, die Hand aber auf dem Hörer ließ. So etwas passierte. Bei ihm kam es auch schon mal vor, dass er vergaß, irgendwo zurückzurufen. Deshalb war es wohl am Besten, ihr den nächsten Schritt zu überlassen. Das war es, was er tun sollte.
Aber das war nicht, was er ‘wollte’.
Und er wollte etwas von Jordan hören. Er wollte mit ihr zusammen sein. Und sie wollte es auch, dessen war er sich sicher.
Warum hatte sie sich dann jedoch nicht bei ihm gemeldet?
Das konnte eine Menge Gründe haben, aber sich die im Einzelnen auszumalen, wäre unklug gewesen. Ebenso unklug wäre es, wieder überraschend in den Laden hereinzuplatzen. Er erinnerte sich daran, dass sie sich am Samstag mit den Worten “bis Montag dann” von Lisa verabschiedet hatte. Deshalb wusste er, dass sie dort war. Bei “Riches and Rags”. Ungefähr drei Häuserblöcke vom Gericht entfernt. Er brauchte bloß ein paar Minuten zu fahren. Aber ein Mann hatte schließlich seinen Stolz.
Genervt von all diesen Überlegungen griff er nach dem Telefonhörer und rief im Laden an. Als sich eine unbekannte Stimme meldete, fragte er nach Jordan. Die Frau ging weg und schließlich kam dieselbe Stimme erneut durch die Leitung: “Tut mir leid. Jordan kann im Moment nicht ans Telefon kommen.”
Ach, nein? dachte er, aber er bat höflich um Rückruf und gab der Frau die Nummer
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