Tiffany Duo Band 0147 (German Edition)
“Glaubst du, an ihrem Tod schuld zu sein?”
Er zog die Stirn in Falten, dann nickte er. “Manchmal.” Er schaute sie an. Die Schatten der Lichter vom Wasser tanzten über sein Gesicht und ließen es fremd, fast grotesk erscheinen. Dann hob er abwehrend die Hände. “So, das war’s. Und jetzt keine Fragen mehr, versprochen?”
Sie nahm seine Hand, legte sie sich an die Wange und hielt sie dort fest. “Keine Fragen mehr, verspro…”
Das Piepsen seines Pagers schrillte durch die Nacht. “Mist”, brummte er.
Er langte nach dem Gerät an seinem Gürtel und stellte es ab. Als er es abnahm, um die Telefonnummer von dem Display abzulesen, zog Jordan sich sein Jackett enger um ihre Schultern. Sie zitterte, aber nicht nur vor Kälte. In ihrem Körper wirbelten die Empfindungen durcheinander.
“Ich muss auf dem Revier anrufen.”
“Ich dachte, du hättest heute frei.”
“Der Tag endet um Mitternacht. Komm.”
Als sie eine halbe Stunde später bei sich zu Hause vorfuhr, ihren Wagen parkte und leise die Haustür aufschloss, war Jordan sehr nachdenklich. In der Eingangshalle brannte das Licht. Nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch.
Dort lag ein Brief für sie, die Adresse war in Blockbuchstaben geschrieben.
Dieses Mal waren die Anweisungen getippt. Der Absender war immer noch an einer Belohnung für eine Information über Jordans Sohn interessiert. Falls sie mehr wissen wollte, sollte sie morgen Abend – Samstag – um sieben zur Union Station zu einem bestimmten Schließfach gehen, wo ein Päckchen mit weiteren Informationen für sie bereitläge, stand da. Der Schlüssel zu dem Schließfach befand sich in dem Umschlag. Außerdem wurde Jordan erneut darauf hingewiesen, dass sie keinesfalls die Polizei einschalten dürfte. Wie der erste Brief war auch dieser mit “Ein Freund” unterschrieben.
Jede Erinnerung an den Abend mit Dominic war wie weggeblasen. Erschüttert starrte sie auf den Brief. War er immer noch nicht mit ihr fertig? Ihre Handflächen wurden feucht, und ihr Herz schlug schneller. Sie versuchte, wütend zu werden – wie konnte es jemand wagen, auf derart gemeine Weise mit ihren Gefühlen zu spielen?
Aber es war sinnlos. Obwohl sie sich davon zu überzeugen versuchte, dass es sich ganz bestimmt nur um einen bösen Scherz handelte, war sie doch machtlos gegen die Welle von Hoffnung, die jetzt über sie hinwegschwappte. Der anonyme Schreiber hatte einen Beweis erwähnt, einen Beweis dafür, dass Michael am Leben war. Diese Chance – und wenn sie auch noch so verschwindend gering war – durfte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Als Jordan am nächsten Abend um sieben zu den Schließfächern ging, herrschte an der Union Station wie üblich großes Gedränge. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich – an den Samstagen war bei “Riches and Rags” immer am meisten los. Heute war ihr das allerdings gerade recht gewesen, weil sie so wenigstens nicht ständig über das nachgrübeln musste, was für sie in dem Schließfach deponiert sein könnte. Weniger recht war ihr gewesen, dass ganz überraschend Dominic im Laden aufgetaucht war. Er hatte sie nach Feierabend auf einen Drink einladen wollen. Zu jeder anderen Zeit hätte sie sich nichts Schöneres vorstellen können, aber im Augenblick konnte sie nur an Michael denken. Und da sie es nicht gewagt hatte, ihn ins Vertrauen zu ziehen, hatte sie eine Verabredung mit einer Freundin vorgeschützt. Immerhin hatte sie jedoch versprochen, ihn morgen anzurufen.
Nachdem sie das richtige Schließfach gefunden hatte, kramte sie mit zitternden Fingern den Schlüssel aus ihrer Tasche. Plötzlich kam ihr alles ganz unwirklich vor. Es war wie eine Szene aus einem Film.
Jordan straffte die Schultern, schaute sich nach rechts und links um und schob den Schlüssel ins Schlüsselloch. Nachdem sie das kleine Türchen geöffnet hatte, fiel ihr Blick auf einen dünnen braunen Umschlag. Sonst nichts. Keine Bombe – natürlich nicht. Sie lachte nervös auf und griff, ganz schwindelig vor Erleichterung, nach dem Umschlag. Am liebsten hätte sie ihn auf der Stelle aufgerissen, aber sie beherrschte sich, bis sie in der Nähe des Aufzugs eine relativ ruhige Ecke gefunden hatte. Dort lehnte sie sich an die Wand und riss den Umschlag auf.
Gleich darauf zog sie das farbige Porträtfoto eines kleinen Jungen heraus. Sie sah auf den ersten Blick, dass es kein professionelles Foto war, sondern nur eine
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