Tiffany Duo Band 0162
war sie nicht so ungesellig gewesen. In Chicago hatte sie einen großen Freundeskreis gehabt. Künstler, Leute, die sich sozial engagierten, Computernarren. Sie waren zu Dichterlesungen gegangen, ins Kino oder zu Sportveranstaltungen.
Als sie im Krankenhaus gelegen hatte, hatten sie ihre Freunde mit Karten und Geschenken und Besuchen überhäuft. Aber sie hatte sie weggestoßen, weil sie das Mitleid und die Hilflosigkeit nicht ertragen hatte, sogar Andrew hatte sie weggestoßen.
Besonders Andrew.
Noch im Krankenhaus hatte sie ihm seinen Ring zurückgegeben. Er hatte ihn mit einer schuldbewussten Erleichterung entgegengenommen, die sie beide beschämt hatte.
Sie konnte es ihm nicht vorwerfen. Nicht wirklich jedenfalls. Dieser schlimme Vorfall hatte sie von Grund auf verändert, er hatte etwas Lebenswichtiges in ihr zerstört. Und achtzehn Monate später hatte sie immer noch keine großen Fortschritte gemacht, es zu reparieren.
Sie wusste, dass ihre Freunde und ihre Familie ihren Entschluss, in einer Kleinstadt in Wyoming eine Stelle anzunehmen, für eine Flucht hielten. Sie konnte es nicht leugnen, dass daran etwas Wahres war. Sie war ja wirklich davongelaufen. Sie hatte das Internet nach Stellenangeboten in Kleinstädten durchforstet, die so weit wie möglich von Chicago entfernt waren.
Aber Chicago und den schlimmen Erinnerungen an diesen schicksalhaften Vormittag zu entkommen, war nur zum Teil der Grund, warum sie hierher gekommen war.
Sie brauchte einen Ort, wo sie sich wieder sauber fühlen konnte.
Die Zeitschaltuhr an der Mikrowelle bimmelte. Erleichtert, ihren Gedanken entfliehen zu können, streckte sie die Hand nach dem Topflappen aus. In diesem Moment klingelte es an der Haustür.
Sie hörte die Klingel so selten, dass es einen Moment dauerte, bis es ihr gelang, das Geräusch einzuordnen. Wer konnte das sein? Ihr Herz begann vor Panik zu hämmern, aber dann holte sie tief Luft, um sich zu beruhigen. Hier in Salt River brauchte sie sich vor nichts zu fürchten.
Nachdem sie ihren Teller abgestellt hatte, ging sie zur Tür, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihr lädiertes Knie so wenig wie möglich zu belasten. Als sie durch den Spion schaute, landete ihr Blick auf einem breiten Brustkasten, und erst das Polizeiabzeichen auf der Brusttasche des braunen Hemds verriet ihr, dass es nur Chief Harte sein konnte.
Ihr Herz begann wieder schneller zu klopfen, aber diesmal war sie sich nicht sicher, ob es wirklich nur vor Panik war. Warum hatte der Mann bloß so eine abartige Wirkung auf sie? Sie hasste es. Sie hasste es total.
Er klingelte erneut – ungeduldig, wie sie fand. Sie atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie.
Sein Lächeln bewirkte, dass sich ihr Puls ums Doppelte beschleunigte. “Ich bin gerade auf dem Heimweg und wollte Ihnen nur kurz erzählen, was mein Besuch beim Bürgermeister ergeben hat.”
Sarah wusste, dass sie unmöglich durch die Fliegengittertür mit ihm sprechen konnte, auch wenn sie nichts lieber getan hätte. “Ich … kommen Sie herein.” Sie hielt ihm die Tür auf, wobei sie sich wünschte, irgendetwas Förmlicheres anzuhaben, als eine ausgewaschene Jeans und ein altes Sweatshirt.
Sobald er das Haus betreten hatte, schrumpfte ihre kleine Diele auf die Hälfte zusammen. Es würde ihr unmöglich sein, auf so engem Raum ein auch nur halbwegs vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen. Ihr Haus war winzig, mit einem Wohnzimmer, das nur ein paar Quadratzentimeter größer war als die Diele. Wo sollte sie mit ihm hingehen?
“Es ist ein schöner Abend”, sagte sie in einer plötzlichen Eingebung. “Wir können draußen reden. Ist das okay?”
Sie nahm sein Schulterzucken als Zustimmung und ging ihm voran durch die winzige Küche auf die überdachte Hinterveranda, wo sie das Licht anknipste.
Hier saß sie in letzter Zeit am liebsten. Bis Frühlingsbeginn hatte sie gar nicht gemerkt, wie eingesperrt sie sich während des langen harten Winters mit dem ständigen Schnee gefühlt hatte.
Doch nachdem es wärmer geworden war, hatte sie entdeckt, dass sie es genoss, ihre Abende draußen auf der Veranda zu verbringen und auf die Berge zu schauen. Die feierliche Erhabenheit der Natur tröstete sie auf eine unerklärliche Weise.
Chief Harte setzte sich in den angebotenen Schaukelstuhl, der viel zu klein für ihn wirkte. “Schön haben Sie es hier”, sagte er. “Wirklich eine herrliche Aussicht.”
“Sie sind an diesen Blick ja bestimmt gewöhnt, schließlich sind
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