Tiffany Duo Band 0162
Scham, als sie daran dachte, wie sie ihn gestern mit Händen und Füßen traktiert hatte, als die Erinnerungen sie zu übermannen drohten. Er musste sie für komplett übergeschnappt halten.
Aber vielleicht musste sie ihn ja gar nicht sehen.
Vielleicht gehörte das Fahrzeug ja einem anderen Polizisten.
Vielleicht würde ein Erdbeben die Schule erschüttern, sodass sie das Gebäude nicht betreten konnte.
Doch so viel Glück war ihr nicht beschieden. Drinnen sah sie durch die Glaswand, dass Jesse in Chuck Hendricks Büro stand und sich Notizen machte, während Hendricks – der Direktor und Fluch eines jeden Lehrers der Grundschule von Salt River – wild mit den Händen gestikulierte.
Seinem rot angelaufenen Gesicht und den geschwollenen Adern an seinem Hals nach zu urteilen schien Chuck mehr als aufgebracht zu sein.
Jesse sah sie zum Glück nicht, stellte Sarah erleichtert fest. Sie sollte zusehen, dass sie so schnell wie möglich in ihr Klassenzimmer kam, aber die Versuchung, Jesse zu beobachten, war einfach zu groß. Der Mann war eine Art schwarzer Engel. Hager und kantig und atemberaubend, mit unbehauenen Gesichtszügen und unglaublich strahlenden blauen Augen.
Sie presste eine Hand auf ihren Bauch, in dem plötzlich Schmetterlinge aufflatterten.
“Sieht wirklich gut aus, stimmt’s?”
Sarah riss ihren Blick von ihm los und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, als ob man sie beim Ansehen eines unanständigen Films ertappt hätte. Sie war so in Jesses Anblick versunken gewesen, dass ihr ganz entgangen war, wie Janie Parker sich zu ihr gesellt hatte.
“Wer?”, fragte sie in einem – wie sie hoffte – unschuldigen Ton.
Die Kunstlehrerin grinste und zeigte ihre Grübchen. “Na, Salt Rivers Lieblings-Bad-Boy-Cop. Jesse Harte. Ich bin immer versucht, ein paar rote Ampeln zu überfahren, nur damit er mich rechts rauswinkt. Er kann mir so viele Strafzettel geben wie er will, Hauptsache, ich kann ihm dabei zusehen.”
Janie war wahrscheinlich exakt sein Typ. Klein und kurvenreich und süß, mit einer Art, die genau zu ihrem Äußeren passte. Sarah wechselte schnell das Thema und fragte: “Warum hängt denn Chucks Toupet heute so schief?”
Es war genau die Art lockere Bemerkung, wie Sarah sie früher gemacht hätte. Aber sie sah an Janies überrascht hochgezogenen Augenbrauen, dass Janie das von der förmlichen ernsten Frau, die sie kannte, nie und nimmer erwartet hätte.
Ihre Kollegen hielten sie wahrscheinlich für absolut humorlos. Was kein Wunder war, wo sie ihnen so wenig Anlass gab, etwas anderes zu denken.
Sie hatte sich noch nicht einmal wirklich bemüht, Freunde zu finden. Nicht, dass sie keine wollte – oder brauchte –, aber zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie die Energie dafür nicht aufgebracht.
Das gehörte zu den Dingen, die sie ändern konnte, vorausgesetzt, dass es noch nicht zu spät war. Von heute an würde sie sich alle Mühe geben, ein bisschen aufgeschlossener zu sein. Und falls es jemand wagen sollte, sie irgendwohin einzuladen, nachdem sie sechs Monate lang alle derartigen Angebote hartnäckig zurückgewiesen hatte, würde sie nicht mehr ablehnen.
“Letzte Nacht ist in die Schule eingebrochen worden”, berichtete Janie.
Sofort bereute Sarah ihre flapsige Bemerkung. “War es Vandalismus?”
“Soweit ich weiß nicht, aber sie haben das Mile-High-Quarter-Glas mitgehen lassen.”
Erst jetzt wurde Sarah klar, warum die Eingangshalle vor dem Rektorat so anders wirkte. So leer. Das große Glas mit den Vierteldollarmünzen war weg. “Aber wie? Das Ding muss doch bald eine Tonne gewogen haben!”
Die Schüler der Schule sammelten Geld für die örtliche Kinderklinik und versuchten, so viele Vierteldollarmünzen zusammenzubekommen, dass sie es schafften, eine Strecke von einer Meile mit einem Teppich aus Münzen zu belegen.
Auch wenn sie dieses Ziel noch nicht erreicht hatten, hatten sie doch immerhin schon fast fünfzehnhundert Dollar gesammelt.
Janie zuckte die Schultern. “Entweder hatten wir Besuch von einem Superhelden, der die Seiten gewechselt hat, oder sie sind mit einem Gabelstapler vorgefahren.”
“Wie sind sie reingekommen?”
“Sie sind durch ein Fenster in Chucks Büro eingestiegen. Wahrscheinlich ist er deshalb so aufgebracht. Dass das Geld weg ist, das die Kinder so eifrig gesammelt haben, ist ihm vermutlich egal. Chief Harte sollte die Bösewichter, die es gewagt haben, auf dem Schreibtisch Seiner Heiligkeit Glassplitter zu verstreuen,
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