TIFFANY EXKLUSIV Band 04
gesponnen! Aber war sie nicht seit jeher in einem Netz von Lügen und Geheimnissen gefangen gewesen?
Lügen und Heimlichkeiten waren eine Selbstverständlichkeit, wenn man in einer Familie aufwuchs, die mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatte. Geboren als Carla Palmieri, einzige Tochter von „Big Vick“ und seiner Frau Gloria, einer ehemaligen Schönheitskönigin, hatte sie schon als Kind gelernt, dass gewisse Ereignisse oder nächtliche Besuche in ihrem prachtvollen Haus in New Orleans nicht erwähnt werden durften.
Über Daddys Business redete man nicht, und falls Fremde ihr Fragen stellen sollten, hatte sie es Daddy sofort zu erzählen. Als sie älter wurde, hörte sie manchmal Getuschel über „Buchmacher“. Sie wusste nicht, was das bedeutete, aber sie nahm an, dass es mit den Besuchern ihres Vaters zu tun hatte.
Ansonsten machte sie sich kaum Gedanken über die Tätigkeit ihres Vaters. Andere Dinge waren ihr viel wichtiger – ihre Freundinnen, ihre Cousinen und Cousins, die fröhlichen Familienfeste, hübsche Kleider und teure Schuhe. Solange sie sich an Daddys Regeln hielt und sich benahm, wie es sich für ein katholisches Schulmädchen gehörte, hatte sie ein herrliches Leben. Schließlich war sie ihres Vaters kleine Prinzessin.
Nicht ganz so unbeschwert waren ihre Teenager-Jahre, da die Strenge ihres Vaters sie mehr und mehr einengte. Er war überbesorgt, nahm jede neue Freundin, jeden neuen Freund scharf unter die Lupe. Er stellte sogar einen Chauffeur ein, der sie zur Highschool fuhr und abholte. Auch später, als sie ihre Ausbildung machte, musste sie sich chauffieren lassen.
Dann, an einem schönen Sommertag, wurde ihr Onkel auf dem Bürgersteig vor seinem Haus von Kugeln durchlöchert, während sie und ihre Tante drinnen im Garten Eis aßen. Eine verirrte Kugel traf ihren fünfjährigen Cousin, der auf dem Transport ins Krankenhaus starb. Ihre Tante kam nie über die Morde an ihrem Mann und Sohn hinweg.
Und sie selbst auch nicht. Zwei enge Verwandte waren grausam getötet worden, aus einem vorbeifahrenden Auto heraus mit Maschinenpistolen niedergemäht. Das Blutbad öffnete ihr die Augen. Sie war nicht sicher. Niemand in der Familie war das, nicht einmal unschuldige Kinder.
Nach den tödlichen Schüssen fiel ihr die Veränderung an ihrem Vater auf. Sogar er, der sonst immer so fröhlich und selbstsicher war, schien jetzt Angst zu haben. Und ihre schöne, lebhafte Mutter wurde schwer krank – von dem unerträglichen Stress, wie die Verwandtschaft annahm. Als sie im Sterben lag, erzählte ihre Mutter ihr von anderen Gewalttaten an Familienmitgliedern und Freunden, die „bestraft“ wurden, weil sie gewisse Leute verärgert hatten. „Geh von zu Hause fort, Carly. Zieh weit weg von hier. Brich den Kontakt mit allen Verwandten und Freunden ab, lass dieses Leben hinter dir und pass auf, dass du nie mehr damit in Berührung kommst.“
Ihre Mutter gab ihr ein dickes Bündel Geld und Ausweispapiere mit dem Namen „Diana Kelly“. Sie sagte nicht, wo und wie sie die Papiere beschafft hatte. „Es ist besser, du weißt es nicht. Aber du kannst sicher sein, dass keiner davon weiß, nicht einmal dein Vater. Merk dir – du bist in Chicago geboren. Und merk dir auch dein Geburtsdatum. Du bist jetzt neunzehn, nicht zwanzig. Erzähl niemandem, wer du wirklich bist – sonst bringst du dich und deine künftige Familie in Gefahr. Sag keiner Seele die Wahrheit, Carly. Versprich es mir.“
Sie hatte es feierlich versprochen – ein Schwur am Totenbett ihrer Mutter. Nach der Beerdigung war sie nach Kalifornien geflüchtet. Die neu geschaffene Diana Kelly schnitt ihr langes dunkles Haar ab, stylte es zu einer frechen Kurzhaarfrisur, ließ ihre Ohren piercen und zierte sie mit diversen Ringen und Strasssteinchen. Sie ließ sich einen Schmetterling auf den Bauch tätowieren und fing in Santa Monica als Haarstylistin an.
Eine ihrer Stammkundinnen war eine ältere, leicht exzentrische Person, in deren Ohren ebenfalls etliche bunte Steinchen glitzerten und die in ihren lose hängenden Blusen und langen Röcken wie ein Überbleibsel aus der Hippie-Ära aussah.
Eines Tages lud Babs Montgomerey sie zu sich nach Hause ein. „Zum Autoren-Lunch mit anschließendem Gedankenaustausch“, sagte sie in ihrer witzigen Art, denn ihre gemeinsame Leidenschaft war das Schreiben. Babs schrieb gerade an einem Roman und sie selbst an einem Theaterstück.
Also fuhr sie an ihrem nächsten freien Tag zum Lunch bei Babs,
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