Tiffany Extra Band 2 (German Edition)
Händen und bis zu ihrer Ankunft hatte sie die Vorderseite so oft gelesen, dass sie den Text auswendig kannte. Sie war erst zehn Jahre alt und fürchtete sich sehr vor dem Sommer. Würde sie Freunde fürs Leben finden? Und was sollte das eigentlich bedeuten?
Zuhause hatte sie nicht viele Freunde. Die meiste Zeit verbrachte sie zurückgezogen in ihrem Zimmer und versteckte sich vor ihren rauflustigen Brüdern und deren unablässigen Versuchen, sie zu ärgern. Auch in der Schule las sie lieber ein Buch, als sich mit ihren Mitschülern zu beschäftigen – bald hatten die anderen Kinder ihr deshalb den Spitznamen „Bücherwurm“ verpasst.
Julia blinzelte im Scheinwerferlicht eines ihr entgegenkommenden Autos und warf dann einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett ihres Subaru. Sie war erst spät losgekommen und in Chicago in einen Stau geraten, ihrem Zeitplan hinkte sie inzwischen gute zwei Stunden hinterher. Das bedeutete, dass sie in Winnehawkee nicht vor Mitternacht eintreffen würde.
Sie griff nach dem Handy auf ihrem Beifahrersitz und rief Kate Carmichael Gray an, ihre allerbeste Freundin aus all den Sommern im Camp Winnehawkee. Die beiden waren in ihrem ersten Jahr Zimmergenossinnen gewesen, zusammen mit Frannie Dillon. In den darauf folgenden elf Jahren entwickelte sich zwischen den drei Mädchen eine tiefe Freundschaft, die immer noch anhielt.
Kate war mit Mason Gray verheiratet, genau wie die Mädchen war auch er jedes Jahr in Winnehawkee gewesen und als Teenager dann zum Gruppenleiter aufgestiegen. Die beiden hatten zunächst in Madison gelebt, bis sie sich dazu entschlossen, nach Nord-Wisconsin zu ziehen und dort das Camp zu übernehmen. Mason war eigentlich Highschool-Lehrer und Kate Sozialarbeiterin.
Julia seufzte, als am anderen Ende der Leitung nur Kates Anrufbeantworter dranging. „Hey Kate. Hey Mason. Ich brauche noch mindestens eine Stunde. Es ist schon spät, ich weiß, und ihr habt bestimmt einen langen Tag hinter euch, also geht ruhig schon schlafen. Wir sehen uns morgen früh. Ich finde selbst ein leeres Bett in einer der Hütten, ich weiß mich da schon einzurichten. Bis dann.“
Nachdem sie aufgelegt hatte, überlegte sie, ob sie Frannie anrufen sollte. Frannie und Ben Cassidy, ebenfalls ein alter Freund aus dem Sommercamp, wollten eigentlich etwas früher im Camp eintreffen. Die beiden lebten inzwischen in Minneapolis und waren sofort an Bord gewesen, als Kate und Mason sie um Hilfe gebeten hatten.
„Wir vom Camp Winnehawkee, Freunde für immer und ewig“, sang Julia leise. „Wir kommen jedes Jahr hierher und lieben dich noch immer mehr.“
Sie war im Sommer nach ihrem Schulabschluss zum Gruppenleiter aufgestiegen und auch noch während ihrer Collegezeit jeden Sommer zurückgekommen, um als Kunst- und Handwerkslehrerin die zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen aus der Murmeltierhütte zu betreuen.
Über die Jahre war das Camp für sie zu einer Art Ersatzfamilie geworden. Ihre Brüder wollten nichts mit ihr zu tun haben und ihren Vater hatte sie nach der Scheidung kaum noch gesehen, höchstens zu den gerichtlich vereinbarten Geburtstagsbesuchen. Als ihre Mutter schließlich begann, sich wieder mit Männern zu treffen, hatte sie an der Erziehung ihrer kleinen Tochter komplett das Interesse verloren.
In letzter Zeit hatte Julia häufig über das Camp nachgedacht. Den Kontakt zu Kate und Frannie hatte sie in all der Zeit aufrechterhalten, sie riefen sich zu ihren Geburtstagen und an den Feiertagen an und trafen sich einmal im Jahr zu einem Mädelswochenende. Diesmal ging es allerdings darum, das Camp wieder zum Leben zu erwecken.
Winnehawkee war vor sechs Jahren geschlossen worden, die damaligen Eigentümer hatten das Rentenalter erreicht und waren nach Florida gezogen. Statt das Gelände allerdings an irgendwelche Bauunternehmer zu verkaufen, hatten sie im Kaufvertrag festgehalten, dass die Käufer das Camp wiedereröffnen müssen. Es fand sich jedoch zunächst niemand, bis sich Mason und Kate dazu entschlossen, ihre eigentlich für einen Hauskauf beiseitegelegten Ersparnisse in eine Anzahlung für einen Teil ihrer Kindheit zu investieren.
„Wir haben keine Angst, auch wenn wir uns trennen. Denn in unseren Herzen, Camp Winnehawkee, werden wir uns immer kennen.“
Eine Kirchengemeinde hatte das Camp für ihre Jugendgruppe Ende Juli gebucht. Aber bevor Mason und Kate ihre ersten Gäste in Empfang nehmen konnten, brauchten sie einen weiteren Kredit oder einen Investor, der für
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