Tiffany Lieben & Lachen Band 0013 (German Edition)
Großvater. Aber ich bin absolut nicht der richtige Mann, um die ‘Kane Corporation’ zu leiten.”
Amos sah zu ihm hoch. “Und weshalb nicht?”
Sam zog die Spielkarte aus seiner Tasche und legte sie auf den polierten Mahagonischreibtisch. “Weil ich nicht einmal diesen einfachen Satz lesen kann.”
Amos zog die dichten grauen Augenbrauen hoch. “Was soll das heißen?”
“Ich kann nicht lesen, Großvater. Das ist auch der Grund, weshalb ich die Schule verlassen habe.” Sam war auf eine harsche Reaktion gefasst.
Doch statt schockiert oder angewidert zu sein, nickte Amos nur. “Das habe ich mir fast gedacht.”
“Wirklich?”, meinte Sam überrascht.
“Ja.” Amos seufzte. “Vor drei Wochen, als wir zu dritt im Flugzeug saßen, du, Dexter, und ich, habe ich euch die Spielkarten gegeben. Karten, die über eure Zukunft entscheiden würden. Doch du hast deine überhaupt nicht angeschaut. Stattdessen hast du sie umgedreht, sodass Dexter sie sehen konnte.”
“Er hat den Satz laut vorgelesen”, ergänzte Sam.
Amos nickte. “Es kam mir seltsam vor. Dann begann ich, mich an all die Gelegenheiten zu erinnern, bei denen du es vermieden hast zu lesen. Sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit. Du hast immer Hörbücher laufen, aber die Bücher in deinen Regalen sehen völlig unberührt aus.”
“Ich habe eine Menge Auswege aus dem Dilemma gefunden.”
Amos nickte erneut. “Wie zum Beispiel im Restaurant. Du hast nie die Speisekarte gelesen, sondern immer gewartet, bis alle anderen bestellt haben. Dann hast du einfach ein Gericht geordert, das auch jemand anders bestellt hat. Es gab viele kleine Hinweise auf dein großes Problem.”
“Ich leide an Dyslexie.”
Amos seufzte. “Und ich bin ein Idiot, dass ich es nicht schon viel früher bemerkt habe.”
Sam setzte sich auf einen Stuhl. “Du hast keine Schuld, Großvater. Die meisten meiner Lehrer haben es auch nicht bemerkt.” Er lächelte. “Nur Philomena Gallagher ließ sich nicht täuschen.”
“Vermutlich nicht, allerdings erklärt es vieles. Zum Beispiel weshalb deine Eltern sich kaum aufregten, als du die Schule abgebrochen hast. Sie wussten Bescheid, oder?”
Sam zuckte die Achseln. “Ich nehme an, sie wurden damit nicht fertig.”
Er sah zum ersten Mal in seinem Leben Wut in den Augen seines Großvaters. “Ich war über den Lebenswandel meines Sohnes nie sehr erfreut. Aber bis heute habe ich mich zumindest nie für ihn geschämt.”
“Ich mache weder meiner Mutter noch meinem Vater einen Vorwurf”, sagte Sam. “Ich weiß gar nicht, ob Dad etwas davon wusste. Ich allein hatte beschlossen, daraus ein Geheimnis zu machen.”
“Bis jetzt. Hast du Lust, mir zu verraten, wer für deinen Sinneswandel verantwortlich ist?”
“Sie heißt Lauren.” Sam grinste. “Sie ist die wundervollste Frau, der ich jemals begegnet bin.”
“Heute ist ein Tag voller Überraschungen”, bemerkte Amos, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. “Du musst mir mehr von ihr erzählen. Doch zuerst will ich die Sechsuhrnachrichten schauen.”
“Seit wann guckst du dir die Nachrichten an?”
“Normalerweise vermeide ich es. Ich finde sie zu deprimierend. Aber dein Bruder hat es mir befohlen.”
“Du hast mit Dexter gesprochen?” Sam erinnerte sich, dass die Spielregeln dies ausdrücklich verboten hatten. Er konnte kaum glauben, dass sich sein pflichtbewusster Bruder darüber hinweggesetzt hatte.
“Vor kurzer Zeit. Ich habe ihn in seinem Büro angetroffen. Allerdings schien er mir nicht ganz der Alte zu sein.”
Sam sah erneut auf seine Armbanduhr. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um nach Hause zu fahren. Lauren würde bald kommen.
“Hör zu, Großvater, ich kann nicht länger bleiben. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir für die Chance, die du mir gegeben hast, danke. Ich glaube, dass Dexter derjenige ist, der die Firma erben sollte. Er hat studiert.”
“Und du, Sam?”, fragte Amos und sah zu seinem Enkelsohn auf. “Was möchtest du?”
Das war schwierig zu beantworten. Er hatte sich so viele Jahre eingeredet, dass ihm keine Wünsche zustanden. Vor allem keine Frau, keine Familie. Doch nun lag eine wunderbare Zukunft vor ihm. Er würde lesen und schreiben lernen. Lauren glaubte an ihn. Vielleicht war es Zeit auch für Sam, an sich selbst zu glauben.
“Ich möchte stolz auf mich sein können”, antwortete er schließlich. “Und ich muss aufhören, zu stolz zu sein, Hilfe anzunehmen, wenn ich sie brauche.”
Amos
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