Tiffany Valentinsband Band 1
weiterzugehen, besonders, wenn man nicht wusste, ob man auf dem richtigen Weg war.
„Alles klar?“, fragte Raine, während er ihnen mit einem großen Messer aus seinem Packen einen Weg freihackte.
Vorsichtig schob sie mit ihren schon längst völlig zerkratzten, blutenden Fingern einen weiteren Zweig beiseite. „Alles bestens.“
„Zum Glück wird die Hecke dichter.“
Sie schnaubte verächtlich. „Zum Glück?“
„Das heißt, wir nähern uns unserem Ziel. Kurz vor dem Durchbruch ist es immer am Schlimmsten. Erinnere mich daran, dass ich dir von dem Pendel erzähle, das einmal haarscharf an meinem Gesicht vorbeischrammte.“
Trotz ihrer Lage musste sie lächeln. Raine hatte ihr während ihrer Wanderung jede Menge Geschichten erzählt, von seinen Abenteuern, seinen Fehlschlägen, seinen Erfolgen. Alle aufregend, alle hatten sie in den Bann geschlagen und ihr Einsicht in einen Lebensstil gegeben, der für sie bisher unvorstellbar gewesen war. Sie studierte die Geschichte, untersuchte Artefakte, brachte sie bei Ausgrabungen behutsam zutage und stellte sie schließlich im Museum aus.
Raine kämpfte für all diese Dinge. Er durchstreifte Urwälder, erforschte uralte Tempel, schlug sich mit wütenden Einheimischen oder bestechlichen Bürokraten herum. Manchmal triumphierte er, manchmal nicht.
Während sie das Leben studierte , war er da draußen und – wie man auf der Erde sagte – packte es bei den Hörnern.
Es war spannend. Aufregend. Genau wie Raine. Doch darüber hinaus hatte er sie in den letzten Tagen durch seine Zärtlichkeit überrascht. Er war lieb, verspielt, sexy und doch zuverlässig, fürsorglich und beschützend. Der Mann, von dem sie immer geträumt, den sie vom Äußeren her nur nicht in ihm vermutet hätte.
Der Mann, auf den sie ihr Leben lang gewartet hatte. Und jeder Schritt, der sie ihrem Ziel näher brachte, war ein weiterer Schritt zu ihrer Trennung.
Ashlynn hatte sich noch nie so zerrissen gefühlt wie jetzt. Nicht zum ersten Mal überlegte sie, wie schrecklich der Gedanke war, dass Raine in seine Heimat zurückkehren würde. Allerdings wurde ihr gerade zum ersten Mal bewusst, wie nah dieser Tag schon gerückt war.
„Bleib dicht hinter mir“, sagte er. „Es wird dunkler.“
Definitiv dunkler. Die Hecke war nicht mehr bloß ein brusthohes Gewirr, sie war eine fast unüberwindbare Barriere, die weit über ihre Köpfe reichte, wo sich die Zweige wie ein Dach über ihnen ineinander verwoben und jegliches Licht aussperrten. Die Luft in diesem dunklen Tunnel, den Raine Hieb um Hieb schuf, war stickig und fad. Je weiter sie vordrangen, desto dichter wurde die Hecke und irgendwann konnte man sich kaum noch bewegen, ohne schmerzhaft mit den Dornen in Berührung zu kommen.
Diese teuflische Barriere konnte unmöglich natürlich entstanden sein. Jemand hatte dafür gesorgt, dass sie hier wuchs. Was hieß, auf der anderen Seite gab es etwas, das es wert war, bewacht zu werden.
Ashlynn bereute, sich auf der Erde nicht ein paar von diesen Turnschuhen gekauft zu haben. So robust und bequem ihre Sandalen waren, für dieses Abenteuer eigneten sie sich nicht und hatten ihr in den Zehen mehr als nur einen Dorn eingebracht. „Autsch“, murrte sie leise vor sich hin, als eine fiese Dornenspitze an ihrer Wade entlangkratzte.
Sie hätte sich auch ein paar Jeans mitbringen sollen. Nächstes Mal sollte sie sich einen Einkaufszettel für die Dinge schreiben, die sie von der Erde brauchen könnte. Kartoffelchips würden auch dazugehören.
Lustig, dass sie an ihre nächste Reise zur Erde dachte. Nach ihrer Rückkehr von dort in der letzten Woche, war sie überzeugt gewesen, nie wieder dorthin zurückzukehren. Jetzt aber erinnerte sie jeder Tag hier an etwas, dass ihr auf der Erde gefallen hatte.
Und eine ganz große Gedächtnisstütze war Raine Fowler, der eben eine weitere rasierklingenscharfe Ranke zur Seite schob, damit sie vorbei konnte.
Ohne einen letzten Blick über die Schulter konnte sie ihn nicht gehen lassen. Oder besser gesagt, sie würde es nicht. Sie wusste nur noch nicht, wie sie ihm das beibringen sollte.
„Danke“, sagte sie, ohne ihm in die Augen zu sehen. Sie wusste nicht, was er in ihren lesen würde, vermutlich zu viel.
„Kein Problem“, antwortete er, obwohl ihr die Blutstropfen an seinen Fingern sagten, dass es sehr wohl eins war. Aber er beschwerte sich kein einziges Mal. Anscheinend überwog sein Sinn für Abenteuer jedes körperliche Unbehagen.
Sie liebte diesen
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