Tiffany Valentinsband Band 1
vermutlich faszinierend. Er hatte allerdings mit etwas Spektakulärerem gerechnet, etwas, das ihn umhaute. Zwar hatte König Midas nichts mit Dornröschen zu tun gehabt – zumindest soweit er wusste – trotzdem hatte Raine sich vorgestellt, das Schloss wäre über und über vergoldet. Er hatte sich ausgemalt, dass eine Disneymelodie ertönte, wenn sie die Hecke durchbrachen, und sie von ein paar sprechenden Tieren empfangen wurden.
Ein Vogel flatterte kreischend aus der Ruine, schwang sich auf und ließ eine ganz andere Art Gruß fallen. Direkt auf seinem Schuh.
„Mist“, knurrte er.
Ashlynn hörte gar nicht zu. Ein Blick auf sie ließ ihn wissen, dass sie ganz und gar hingerissen war von dem, was sie sah.
„Das ist unglaublich“, flüsterte sie. Ein sichtbarer Schauer durchfuhr sie. „Ich frage mich immer noch, ob ich träume.“
Raine musste lächeln. Er freute sich für sie. Vielleicht hatte er seine Erwartungen zu hoch geschraubt. Dieser Ort war verdammt cool, vergoldet oder nicht. „Sollen wir reingehen?“
Mit zitternder Hand griff sie nach seiner. „Auf jeden Fall.“
„Lass mich vorgehen, okay? Die Böden sind vielleicht verrottet und ein paar Wände kurz davor, einzustürzen. Wir müssen das langsam angehen.“
„Ja, klar.“
Noch etwas, dass er an Ashlynn mochte – sie war so vernünftig.
Vielleicht lag es an dieser Vernunft oder daran, dass er auf sie aufpassen wollte, doch er marschierte nicht einfach so in das Schloss hinein, wie er es wohl getan hätte, wenn er alleine gewesen wäre. So aber überdachte er jeden Schritt und suchte nach möglichen Gefahren. Je weiter sie aber in das Bauwerk vordrangen, und je deutlicher wurde, dass im Innersten weit mehr zu finden war, als das Äußere hatte erahnen lassen, desto mehr wich die Vorsicht seiner Neugier.
„Mein Gott“, flüsterte er, als sie eine halb verrottete Tür aufstießen und dahinter in einen Raum gelangten, der einmal die große Halle gewesen sein musste.
„Unglaublich“, stimmte sie ebenso überwältigt zu.
Von außen mochte es ausgesehen haben wie die Ruine in irgendeinem europäischen Land. Von innen aber – nun, das war pures Elatyria. Das reinste Märchen. Denn als würde die mächtige Magie dieser Welt nicht zulassen, dass etwas Schönes gänzlich zerstört wurde, war das Interieur bemerkenswert unversehrt. Sicher, einige Wände waren eingestürzt, das Dach an einigen Stellen eingebrochen, aber im Großen und Ganzen stand alles noch genauso erhaben und solide da, wie vor Hunderten von Jahren, als die Bewohner es verlassen hatten.
Die anmutigen Marmorpfeiler waren zwar schmutzverkrustet, doch durch den Schmutz schimmerte immer noch die einstige Schönheit. Die verrotteten Gobelins an den Wänden konnten nicht von den prächtigen Wandfresken ablenken, die höfische Szenen darstellten mit Rittern und Drachen und schönen Jungfrauen. Möbel aus massiver Eiche – und vielleicht aus dem Kern der zauberkräftigsten Bohnenranken – standen immer noch an Ort und Stelle, dick mit Staub bedeckt, doch größtenteils intakt.
„Die Throne“, wisperte Ashlynn.
Raine folgte ihrem Blick zu zwei auf einem erhöhten Podest stehenden prächtig geschnitzten Sesseln. Elegant mit edlem Samt bezogen wirkten sie, als wären ihre rechtmäßigen Herren eben erst daraus aufgestanden und nur für einen kurzen Moment weggegangen.
Ashlynn wandte sich zur gegenüberliegenden Wand, um dort die Gemälde zu betrachten, während Raine es zu den Thronen zog. Er sagte sich, dass er nachsehen wollte, ob irgendwo in das Holz Juwelen eingebettet waren, wie er es sich schon die ganze Zeit über immer vorgestellt hatte.
Dann aber wurde ihm etwas klar. Selbst wenn kostbare Steine darin steckten, die es mit dem Hope-Diamanten aufnehmen könnten, er würde sie nicht herausbrechen. Dieses Schloss war quasi ein Heiligtum. Ehrfurcht erfasste ihn, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Er würde es nicht entweihen, nicht für alle Juwelen in Seasides verlorenem Königreich.
Ja, wenn eine Handvoll davon auf dem Boden herumläge. Dann wäre das etwas anderes. Zum Glück gab es noch genug andere Schlösser zu entdecken. Und je mehr sie fanden, desto höher würde am Ende der Finderlohn ausfallen.
„Raine, sieh dir das an!“, rief Ashlynn aufgeregt.
Sie deutete auf eine Reihe Gemälde, kleiner und weniger verziert als die großen, die vom Boden bis zur Decke reichten und die meisten Wände der Halle zierten.
„Hier wird die ganze Geschichte
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