Tiffany Valentinsband Band 1
Nachdenken zu nutzen. Er und sein Vater waren sich nicht direkt fremd gewesen; sie waren nur nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt. Dass Andrews Mutter gestorben war, als er noch ein Teenager war, hatte ihr Verhältnis nicht unbedingt verbessert. Sie hatte ein Talent dafür gehabt, die diversen Vater-Sohn-Fehden mit zuckersüßen Worten zu schlichten. Als ihr liebevolles Eingreifen fehlte, gingen sich die beiden Männer ständig gegenseitig verbal an die Gurgel.
Als Andrew beschlossen hatte, in Ohio aufs College zu gehen, hielt sein Vater ihn nicht davon ab, hatte sich allerdings auch später nicht dazu durchringen können, bei der Abschlussfeier dabei zu sein. Zwar hatte er gratuliert, als Andrew später seinen Traumberuf bei einer großen Werbeagentur in Manhattan bekommen hatte, ihn aber auch die folgenden dreizehn Jahre niemals besucht.
Andererseits war Andrew nicht der Vorbildlichste gewesen, wenn es um Besuche ging. Er bemühte sich, jedes Jahr wenigstens zu Weihnachten für ein paar Tage vorbeizukommen, aber im letzten Jahr hatte er mit seiner Firma so viel um die Ohren gehabt, dass er es zeitlich nicht geschafft hatte, nach Tiny zu fahren.
Jetzt bereute er es, wollte sich aber auch nicht vormachen, dass dieser Besuch an Weihnachten irgendetwas an ihrer Beziehung zueinander geändert hätte. Wahrscheinlich hätte es sogar alles noch schlimmer gemacht. Andrews Vorschläge, die fünfzig Morgen große Farm gegen etwas Kleineres zu tauschen, das sein Vater leichter bewirtschaften konnte, waren immer auf taube Ohren gestoßen. Am Ende seiner Besuche war die Toleranzschwelle zwischen ihnen beiden immer gefährlich niedrig gewesen.
„Besucher sind wie Fische“, pflegte sein Vater immer gerne zu sagen, „nach ein paar Tagen fangen sie an zu stinken.“
Andrew versuchte stets, sich nicht getroffen zu fühlen, weil sein Vater ihn in dem Haus, in dem er aufgewachsen war, als „Besucher“ bezeichnete. So war der alte Mann nun mal.
Er fuhr langsamer, als er Tinys Stadtzentrum erreichte. Es bestand bloß aus drei Häuserblocks, auf die sich aber die verschiedensten und ungewöhnlichsten Geschäfte verteilten, die man sich vorstellen konnte: Bittys Bäckerei, Tiny Town Haushaltswaren, Harlows Musikalienshop, Wests Apotheke, das Rathaus , Dr. med. Berg, Floods Zahnarztpraxis, Puppen & mehr, Blumen & mehr, Schuhe & mehr, Uhren & mehr, Kekse & mehr, Bücher & mehr … und noch viel mehr. Wie gewöhnlich zierten die Markisen der Geschäfte persönliche Nachrichten an die Einwohner: „Herzlichen Glückwunsch, Wendy!“, „Glückwünsche zum Hochzeitstag, Maggie und John!“, „Willkommen, Baby Jenkins!“ Die Schaufenster kündeten vom kommenden Valentinstag.
Hadleys Beerdigungsinstitut befand sich in einem ehemaligen Fast-Food-Restaurant etwas außerhalb der Einkaufsstraßen. An der Markise des Instituts standen Beileidsbekundungen für die Familien Barber MacMillan und Sadie Case.
Betrübt dachte er an Mrs Case mit der lieblichen Stimme. Sie war in der dritten Klasse seine Lehrerin gewesen und etwa im gleichen Alter wie sein Vater. Tinys alte Generation verstarb so schnell, wie die jüngere fortzog.
Flüchtig fragte er sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er die Farm seines Vaters verkauft hatte. Seine geliebte Mutter hatte sie spaßeshalber Mane Squeeze Ranch getauft, was sein Vater um ihretwillen beibehalten hatte. Vor Jahren hatte die Verwaltung des angrenzenden Naturschutzparks wegen der Kalksteinhöhle mit einer Quelle darin Interesse am MacMillan-Land bekundet, doch die Dinge hatten sich geändert.
Als Andrew seinen schwarzen BMW in eine freie Parklücke fuhr, zog sich sein Magen zusammen. Er konnte sich für ein Kind kaum Schlimmeres vorstellen, als die Beerdigung seiner Eltern organisieren zu müssen. Aber angesichts der Tatsache, dass so nun einmal der Lauf der Dinge war, war es das Letzte, was er für seinen Vater tun konnte. Und konnte so vielleicht das ein oder andere wiedergutmachen, was er zu dessen Lebzeiten versäumt hatte.
Er stieg aus seinem Auto und wurde von der warmen Wintersonne empfangen. Im Süden Tennessees war das Wetter immer unberechenbar, daher war es nicht weiter verwunderlich, dass die Temperaturen im Februar manchmal auf über zwanzig Grad stiegen. Solche Tage musste man genießen, denn am nächsten konnte es schon wieder schneien.
Von der Wärme hervorgelockte Singvögel zwitscherten in den Bäumen, als Andrew auf die Eingangstür des Beerdigungsinstituts zuging. Die
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