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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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HCCC absolvierte, waren meine Kenntnisse in Mathematik auf dem Niveau der vierten Klasse gewesen; es war, als sei alles gelöscht, was ich einmal gelernt hatte. Irgendwie waren George und ich auf das Thema Sex zu sprechen gekommen, und er sagte, er habe gespürt, dass ich eine dominante Frau sei, die das brave Mädchen spiele: Die Wahl meiner Schuhe sage alles. Und eine gewisse Aura von Macht, die mich umgebe. Peter wusste nichts von meinen kniehohen Schnürstiefeln; ich hatte sie zusammen mit Tania gekauft. Ohne Peters Wissen begannen George und ich eine E-Mail-Korrespondenz, bei der wir Fantasien austauschten; seine E-Mails begannen immer mit der Anrede: »Meine Gebieterin Margaux«. Im richtigen Leben lernte er einfach nur Mathe mit mir, mehr war nicht.
    Ich glaubte, Peter sei fertig, doch er fuhr fort: »Wollte er schon wieder bezahlen?«
    »Ja.«
    »Weißt du, wenn ein Mann zahlt, erwartet er dafür eine Gegenleistung.«
    »Wir sind nur Freunde. Ich habe immer Geld dabei. Rocco ist nur zu höflich, um es anzunehmen.«
    Peter wirkte bedrückt.
    »Was ist?«, fragte ich schließlich.
    »Ich habe kein Problem damit, dass du mit Jungs in deinem Alter ausgehst. So muss das schließlich sein. Es ist nur so schwer, abseits zu stehen. Auch wenn Rocco nur ein Freund ist – irgendwann wird es so weit sein. Das weiß ich. Und es ist in Ordnung, Liebes. Es ist unumgänglich. Ich gebe dir meinen Segen. Ich bin einfach nur, na ja, ein bisschen eifersüchtig. Aber kann man mir das übelnehmen? Letztens war ich im Veteranenkrankenhaus; die wollen, dass ich mir jetzt jeden Tag in den Finger steche, um meinen Blutzuckerspiegel zu prüfen. Das mache ich nicht, lieber sterbe ich. Dort sah ich einen alten Mann im Rollstuhl. Wer will so leben? Wie erträgt man das? Ich erzählte es Inès, und sie sagte, man würde sich daran gewöhnen. An so was könnte ich mich niemals gewöhnen.« Peter legte seinen Kopf auf meine Schulter und sagte: »Bitte, bitte denk mal an mich, wenn du mit den anderen zusammen bist. Egal, wo du bist und bei wem du bist, denk mal an mich.«
    »Gut«, sagte ich, aber rief mir in Erinnerung, dass meine Treue zu ihm bereits meine Freundschaft mit Tania zerstört hatte. Als ich sie an dem Abend damals angerufen hatte, um abzusagen, hatte sie angedeutet, dass ich nicht normal sei, und so wollte ich mich nie wieder fühlen.
    ***
    Im Frühjahr wechselte ich an eine Universität, wo Lernen zu meiner Droge wurde; dazu kamen kurze Liebesgeschichten mit Malern und Musikern, die wie ich eine stürmische Vergangenheit hatten. Wie Eva erforschte ich einen begrenzten Garten, spielte, lernte und verliebte mich an jedem siebten Tag, doch meine Seele war noch immer an den alten Hochzeitsschwur gebunden, selbst wenn mein Herz und mein Körper dagegen aufbegehrten. Peter war zwar furchtbar eifersüchtig auf meine ersten Verehrer gewesen, doch beunruhigt war er erst, als ich den sechsundzwanzigjährigen Anthony kennenlernte.
    Kurz nachdem wir uns angefreundet hatten, sagte ich Peter, ich würde Anthony ab jetzt nicht nur am Wochenende, sondern auch freitagabends treffen. All die Jahre hatte ich unter seinen Ausflügen mit Inès gelitten, war zu deprimiert gewesen, um allein zu bleiben. Wann immer ich an Peters Traurigkeit dachte, kam mir eine Zeile von Byron in den Sinn, die ich mir notiert hatte, als mein Professor sie im Unterricht zitiert hatte:
    Und ihre Rach’ ist wie des Tigers Satz,
    Schnell, tödlich und zermalmend, – dennoch wühlt sie
    Im eigenen Fleisch: Was sie verfolgt, das fühlt sie.
    ***
    Wenn Peter mich freitags nach Hause brachte, tat er sein Bestes, um mein Treffen mit Anthony hinauszuzögern. Ich wollte nur so schnell wie möglich ins Haus, um mir das Haar zu machen und mich zu schminken. Im parkenden Wagen faltete Peter den längsten Brief der Woche auseinander und las ihn mir langsam vor, während er Kette rauchte. Diese Briefe handelten von Peters Erinnerungen an mich mit zwölf, elf, acht, sieben Jahren.
    Oft sprach er in seinen Briefen von Selbstmord. Mir war nicht ganz klar, ob er das tat, um seine verlorene Zeit zurückzugewinnen; ich wusste nur, dass ich mir nicht allzu große Sorgen machte. Er hatte es nicht getan, als sich seine zweite Frau von ihm scheiden ließ, und ich wusste aus erster Hand, wie schwer es war, den Mut zusammenzunehmen. In letzter Zeit war Peter sehr religiös geworden und fragte mich oft, ob ich an die Hölle glaubte. Er hatte sogar mit Magic Marker ein Bild von einer

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