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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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sitzen, er wusste ja, dass Peter seine Möbel vom Flohmarkt und vom Sperrmüll hatte. Niemals hätte ich damit gerechnet, Poppa in diesem Haus zu sehen; ich kam kaum über den Schock hinweg.
    »K…Keesy, deine Mutter ist auf der Straße ohnmächtig geworden. Sie hat nach dir gesucht. Sie ist hingefallen, aber es ist nicht so schlimm. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Die Leute haben gegafft. Sie wurde auf eine Trage gelegt. Sie hat sich nicht verletzt, also mach dir keine Sorgen. Aber es war demütigend.«
    »Poppa, ich hätte sie nicht allein lassen dürfen. Ich weiß, ich hätte auf sie aufpassen sollen. Aber sie hat auf der Straße herumgeschrien, und alle Leute haben zugeguckt.«
    »Ich verstehe«, sagte Poppa und nickte. »Komm, wir gehen. Komm, Keesy.« Peter führte uns aus dem Wohnzimmer zur Haustür, vorbei an dem Klavier mit den kaputten Tasten, vorbei an den Sittichen und Finken, die auf Stangen saßen oder kurz aufflogen und herumflatterten. Sie zwitscherten, und Poppa blieb stehen, um sie zu betrachten.
    »Was für schöne Tiere! Aber ohne Käfig?«
    »Ihre Flügel sind beschnitten.«
    »Ah! Kein Wunder … Ich persönlich bin nie dafür gewesen, Vögeln die Flügel abzuschneiden oder Katzen die Krallen zu ziehen. Wahrscheinlich weil ich es unwürdig finde. Aber vielleicht ist es ja noch unwürdiger, in einem Käfig zu leben.«
    »Ist meine Meinung«, sagte Peter und öffnete Poppa und mir die Tür. Poppa hielt ihm die Hand hin; Peter ergriff sie. »Ich muss Ihnen danken, dass Sie meine Tochter von der Straße geholt haben. Meine schlimmsten Ängste hätten heute Nacht wahr werden können: Sie hätte angefahren oder von einem Irren entführt werden können. Ihrer Mutter fehlt jede Vernunft. Steht auf der Straße und schreit herum. Jeder wäre eher weggelaufen, als dem Pöbel ausgeliefert zu sein!«
    »Margaux hat Schuldgefühle, weil sie ihre Mutter allein gelassen hat«, sagte Peter und nickte. »Aber es war nicht ihre Schuld.«
    Poppa nickte ebenfalls. Dann sagte er: »Redet meine Frau manchmal über mich? Mit Ihnen oder mit Ihrer … mit Inès?« Er hob fragend die Augenbrauen.
    »Ich höre nicht genau hin, wenn sie damit anfängt. Ich weiß, dass sie psychisch krank ist«, sagte Peter und zündete sich eine Zigarette an. »Wie genau lautet die Diagnose?«
    »Der eine Arzt sagt Schizophrenie, der andere bipolare Störung, ein anderer sprach von einer Borderline-Persönlichkeit. Wer weiß? Dieser Gurney, ihr Psychiater, schreibt immer ›Schizophrenie‹, wenn er die Anträge bei Medicare stellt. Aber genau weiß man es nicht. Wir wissen nichts. Unser ganzes Leben lang ist es schon so. Unser Leben lang grübeln wir über die Ursachen. Das ist wohl immer ein sinnloses Unterfangen. Genau wie Schonung. Gibt es das wirklich? Ich dachte, ich würde sie schonen, wenn ich ihr das Krankenhaus ersparte. Wenn ich das Kind verschonte. In Wirklichkeit habe ich genau das Gegenteil von dem getan, was Schonen bedeutet.« Er drehte sich um und ging mit mir die Treppe hinunter.

18
    Nina
    Nach Mommys Nervenzusammenbruch nahm sich Poppa ein paar Tage frei. Während der Zeit konnte ich ihn davon überzeugen, mich nicht täglich zu Rosa zu bringen. »Zum einen bin ich jetzt zu alt für einen Babysitter«, sagte ich. Wir waren in der Küche; er rührte Reis in einem Kochtopf. Seit meine Mutter im Krankenhaus war, hatte er gute Laune. »Außerdem wäre das reine Geldverschwendung. Rosa lässt mich einfach vor dem Fernseher sitzen. Aber ich darf mir nichts anschauen. Ich sitze herum, während ihr Sohn Videospiele spielt. Das ist total langweilig.«
    Nachdenklich rieb sich Poppa das Kinn. »Was machst du denn so in dem anderen Haus?« Ich wusste, dass er damit Peters Haus meinte.
    »Alles Mögliche. Rollschuh fahren. Mit dem Hund spazieren gehen.« Ich überlegte und begann zu lügen. »Im Sommer habe ich Inès im Garten geholfen. Wir haben Gemüse und Sonnenblumen gepflanzt. Im Herbst blühen unsere Zinnien; die gehen nur im Herbst auf.« Gerade hatte ich mir ausgedacht, in welcher Jahreszeit Zinnien blühen; in Wahrheit wusste ich es nicht. Poppa wirkte beeindruckt von meinem Wissen. »Ich darf auch Inès’ Schreibmaschine benutzen, um meine selbstgeschriebenen Erzählungen abzutippen, und sie hat mir geholfen, für meine Arbeit in Geschichte zu lernen, sie weiß nämlich sehr viel über den Bürgerkrieg. Und einmal haben wir mit einem Set Glasmalerei gemacht.« Während ich das erzählte, wünschte ich mir, es sei

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