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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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Polizei!«, ihr Schreien war in ein Kreischen übergegangen. Niemand rührte sich. Ihr Gesicht glich einem Stück Kohle, das so stark geglüht hatte, dass es zu weißer Asche geworden war. »Hilft uns denn niemand? Meine Tochter kann es bezeugen! Sie ist hier! Sag es den Leuten, Margaux! Sagen ihnen, wie dein Vater ist. Sag ihnen, dass er Waffen hat!«
    Alle Hunde in der Gegend begannen gleichzeitig zu bellen. Sie kläfften hinter Zäunen und Toren; sie knurrten in den Käfigen beim Tierarzt und im Tierheim, sie heulten in Hundehütten in ganz Union City, Weehawken, North Bergen und West New York. Normalerweise konnten die Tiere sich nur untereinander hören, ein Netzwerk von Hunden, das irgendwo bei den einstelligen Straßenzahlen begann und sich bis zur 90th Street erstreckte, doch jetzt konnte auch ich hören, wie sie im Einklang bellten. Ich begann zu rennen.
    »Margaux, Margaux, komm zurück!«
    Ich spürte, wie sich die Freiheit in meinen Gliedern ausbreitete; ich lief schneller, als man mit den Augen sehen konnte. Ich raste vorbei am Blumengeschäft, an der Kirche Saint Augustine, am chinesischen Restaurant und an der Videothek. Ja, ich war schnell. Gleich würde ich in Weehawken sein. Gleich würde ich bei Peter sein. Das Polizeirevier kam in Sicht. Ich überlegte, ob ich reingehen und von meiner Mutter erzählen sollte. Nein, Peter mochte keine Polizei. Ich auch nicht.
    Ich überquerte die Straße, lief an den Büschen mit den giftigen Erdkirschen vorbei. Ich hatte Seitenstiche, mein Hals brannte. Je langsamer ich wurde, desto verlorener fühlte ich mich; es war, als ob ich nur beim Laufen wusste, wo ich hinwollte. Aber nun, da ich nicht mehr so schnell konnte, sah mir alles so fremd aus, und ich wusste nicht, ob ich in Weehawken oder in Union City war. Ich hatte keine Ahnung, wo Peters Haus war.
    Es war Sperrmülltag, schwere schwarze Säcke standen vor den Häusern. Ich hatte das Gefühl, immer wieder an denselben drei glänzenden Säcken vorbeizukommen, die wie Würstchen oben zugeknotet waren. Nach einer Weile merkte ich, dass ich immer wieder denselben Häuserblock umrundete. Ich beschloss, ein Münztelefon zu suchen. Da ich kein Geld bei mir hatte, rief ich Peter mit einem R-Gespräch an und beschrieb ihm, wo ich mich ungefähr befand. Dann rollte ich mich auf der Motorhaube eines Autos zusammen und wartete.
    ***
    Ich musste eingeschlafen sein, denn ich wachte erst auf, als Peters Arme mich hochhoben. Das Motorrad gab seine üblichen knatternden, spuckenden Geräusche von sich, Hitze stieg vom Motor auf. Peter legte mir einen von Inès’ bunten Schals um die Schultern.
    »Wickel dir den um den Mantel«, sagte er. »Auf dem Motorrad ist es immer etwas kälter.«
    Dann setzte er mir meinen silbernen Helm auf den Kopf und schloss ihn unter meinem Kinn. Mit unseren Helmen, fand ich, sahen wir wie Astronauten aus.
    »Glaubst du, dass du mitfahren kannst?«, fragte Peter. Ich nickte. »Hüpf drauf!«, sagte er so wie immer, wenn ich mich aufs Motorrad setzen sollte. »Schlaf nicht ein! Sing mir notfalls was vor. Aber bleib wach, ja?«
    ***
    Auf Peters roter Samtcouch trank ich den Tee, den Inès für mich gekocht hatte. Paws hatte sich an meinen Füßen zusammengerollt. Peter redete die ganze Zeit. Manchmal verstand ich, was er sagte, dann war er wie eine Nachrichtensendung im Hintergrund, der man nur hin und wieder zuhörte. Er hatte irgendwas davon gesagt, dass er zigmal bei mir zu Hause angerufen hatte, sich aber niemand meldete. Immer wieder stand er auf und telefonierte. Ich wusste, dass ich mir Sorgen um meine Mutter machen sollte – ich hätte Angst haben müssen, doch ich hatte längst begriffen, wie sinnlos meine Ängste waren –, ich konnte doch nichts ändern.
    Ich musste wieder eingenickt sein, auf dem Teppich neben der Couch, denn als Nächstes merkte ich, dass Poppa da war. Er runzelte die Stirn, als er mich mit Paws auf dem Boden liegen sah, und obwohl er nichts sagte, setzte ich mich auf. Poppa trug ein grünes Button-down-Hemd mit einer schwarzen Krawatte und einer braunen Hose.
    Ich spürte den starken Drang, mich in seine Arme zu werfen, hatte aber Angst, er würde mich von sich stoßen. Trotzdem stand ich auf, ging auf ihn zu, hielt dann inne und setzte mich stattdessen auf die rote Samtcouch. »Möchten Sie auch Platz nehmen?«, bot Peter Poppa an und wies auf die Couch, doch Poppa schüttelte den Kopf.
    »Nein, nein, schon gut. Ich stehe lieber.« Natürlich wollte er hier nicht

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