Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
sechs – ungefähr so viel«, er zeigte den Abstand mit den Händen an, »weil ich ungefähr so weit mit der Stoßstange auf einem Behindertenparkplatz stand. Kennst du die Frau unten an der Straße mit dem Cadillac ? Mit dem silbernen Cadillac ? Tja, der gehört der Behindertenparkplatz. Nicht weil sie behindert wäre, sondern weil sie irgendjemanden im Rathaus kennt. Ich habe sie schon im Nachtclub tanzen sehen. Sie ist vollkommen gesund, diese Frau. Diese Behindertenparkplätze schießen überall wie Pilze aus dem Boden, weil jeder irgendwo jemanden kennt. Und sie sind fast doppelt so groß wie die Wagen, die darauf parken!« Er schüttelte den Kopf. »Hol mir noch ein Bier, Keesy.«
Als ich zum Kühlschrank ging, fuhr er fort: »Also, diese Parkplätze breiten sich aus wie das Ulmensterben. Und der Chevy war ein großes Auto, weißt du noch, Keesy? Ein langer Wagen, und robust, so wie Autos früher gebaut wurden. Sicher, wenn ich einen Honda oder Toyota gehabt hätte, dann wäre die Stoßstange nicht hinter der Linie gewesen. Fünf Zentimeter. Fünf Zentimeter! Sie hatte immer noch genug Platz zum Parken.«
»Und trotzdem durften sie dich abschleppen?«
»Ja, weil das Gesetz es erlaubt! Diese Frau betrügt, aber auf dem Papier verletze ich das Gesetz! Mir ist natürlich klar, dass sie die Kriminelle ist, nicht ich. Sie hat das Gesetz durch Korruption verletzt! Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass sie dafür bezahlt. Ich musste hundert Dollar zahlen, aber für sie ist es zehn Mal so teuer geworden.«
»Was hast du denn getan?«
»Ungefähr ein halbes Jahr, nachdem ich meine Staatsbürgerpflicht erfüllt und die Strafe und Abschleppgebühren gezahlt hatte, ging ich in den Supermarkt und kaufte ein halbes Dutzend Eier. Dann fuhr ich zu Sears und kaufte eine Dose rote Farbe. Ich nahm den Eierpicker, bohrte in jedes Ei ein Loch und ließ es möglichst gründlich in der Küchenspüle auslaufen. Dann holte ich einen Trichter.« Beim Erzählen machte er die entsprechenden Handbewegungen. »Mit meiner Lupe gelang es mir, jedes Ei ganz langsam mit knallroter Farbe zu füllen. Um drei Uhr morgens fuhr ich an ihrem Haus vorbei, vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war, und warf die Eier auf ihr Auto! Dann wartete ich ein paar Monate. Als ich sah, dass sie es neu hatte lackieren lassen, ging ich wieder hin und machte noch mal genau dasselbe! Denn sie hatte das Gesetz gebrochen! Nicht das Gesetz! Mein Gesetz!«, sagte er und wies mit dem Finger auf seine Brust. »Egal, ungefähr einen Monat später traf ich Eduardo in der Bar. Er erzählte mir die Geschichte von dieser Frau. Er kann sie genauso wenig leiden wie ich, und am Ende meinte er leise: ›Louie, hast du eine Idee, wer so was tun würde? Was für ein Mensch?‹ Weißt du, was ich zu ihm gesagt habe, Keesy?«
»Nein, was?«
»Ich hab gesagt: ›Ich weiß nicht, wer einer armen behinderten Frau so was antun kann. Wer so etwas macht, der muss wirklich kriminell sein! Das muss ein richtiger Psychopath sein!‹«
***
Seit meine Mutter im Krankenhaus war, ging ich allein zu Peter. Auf dem Weg wurde ich ständig von Typen angemacht; sie pfiffen und zischten mir aus Fenstern zu, sagten mir, ich hätte schöne Titten oder einen strammen Hintern, gaben mir ihre Pager-Nummern auf kleinen Zetteln oder wollten mich überreden, zu ihnen ins Auto zu steigen. Wenn es warm wurde, hingen überall Jugendliche herum, auf Veranden, Motorhauben oder Feuertreppen, fuhren Fahrrad oder Skateboard. Es waren Jungen mit verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappen, Jungen mit aggressiven Kampfhunden, meistens Rottweilern oder Pitbulls.
Nachdem meine Mutter aus dem Krankenhaus gekommen war, hatte ich darauf bestanden, weiterhin allein zu Peter zu gehen. Poppa schien einzusehen, dass ich große Angst davor hatte, von Mommy erneut eine Riesenszene auf der Straße geboten zu bekommen. Inzwischen nahm sie eine deutlich erhöhte Dosis Thorazine und Seroquel, die sie so abstumpfen ließ, dass es sie nicht störte, allein zu Hause zu bleiben. Außerdem hatte ich das Gefühl, von den Rufen der Jugendlichen abhängig zu sein, selbst wenn ich mich dabei unwohl fühlte. Es kam mir vor, als müsste ich mir unablässig versichern lassen, dass Jungen mich mochten, selbst wenn sie nur Sex mit mir wollten. Peter sagte, alle Jungs in dem Alter seien unreif und wollten mich nur für das eine haben.
Einmal hatte ich meine weiße Jeansjacke um die Taille gebunden, und ein Junge mit Durag, der von
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