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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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seinen Freunden begleitet wurde, rief mir zu: »Zeig deinen Arsch, Süße! Der sieht bestimmt so gut aus wie der Rest von dir!« Errötend nahm ich die Jacke in die Hand, und die Jungen klatschten. »Du bist süß, chica!«, rief ein anderer Junge aus der Clique. »Versteck dein hübsches Gesicht nicht hinter deinem Haar, Mädchen! Guck nicht auf den Boden! Lach mal, Süße! Es ist Frühling!«
    Die Jungen hatten recht; ich sollte öfter lächeln. Es war Ende Mai; ein weiteres schreckliches Schuljahr war zu Ende, ich war jetzt völlig frei. Und für Peter war ich wichtiger als je zuvor; inzwischen schrieb er mir täglich vierseitige Liebesbriefe, die er mir vorlas, sobald ich bei verschlossener Tür sicher in seinem Zimmer war. In den Briefen ging er alle Ereignisse des Vortags durch und betonte, wie viel Spaß wir gehabt hatten. Zu dieser Zeit ermutigte er mich, ein Tagebuch über unser gemeinsames Leben zu verfassen, ermahnte mich aber immer wieder, nichts auch nur entfernt Negatives darin aufzunehmen. Wenn wir uns stritten oder wenn ich traurig war, bestand er manchmal darauf, dass ich ihm den Tagebucheintrag vorlas.
    ***
    Doch es geschah etwas mit mir, das ich nicht verstand. Ich stellte fest, dass meine Gedanken und Gefühle sehr stark schwankten, je nach Tagesform. Eines Nachmittags saß Miguel mit vier Freunden auf der Treppe zum ersten Stock. Ich, die normalerweise kaum ein »Hallo« gegenüber Miguel herausbekam, warf plötzlich das Haar nach hinten und fauchte ihn an: »Haben deine Freunde und du nichts Besseres zu tun, als auf der Treppe rumzulungern? Ist ja ein Wunder, dass überhaupt noch einer durchkommt!« Miguel erzählte es Peter, der darauf bestand, dass ich später anrief und mich entschuldigte (ich schämte mich zu sehr, das unter vier Augen zu tun). »Schon gut«, meinte Miguel, und obwohl er mir vergab, war ich so angewidert von mir, dass ich es unerträglich fand, über jenen Tag nachzudenken.
    ***
    Frauen mochten Peter. Richards Exfreundin Linda hatte mit ihm geflirtet und ihn mehrmals in ihre Wohnung eingeladen, doch er war nicht hingegangen. Jessenia, die Mieterin im Erdgeschoss, berührte oft Peters Arm, wenn sie mit ihm redete; in der Regel darüber, was in ihrer Wohnung kaputtgegangen war. Peter hatte gesagt, im Großen und Ganzen sei es ein Fehler gewesen, die Mieter zu nehmen. Sie waren schmutzig, und ihre Wohnung war mit Kakerlaken verseucht, die schon versuchten, in den ersten Stock vorzudringen. Peter erzählte, er sei unten gewesen, um ein kaputtes Rohr zu reparieren. Da hätte er gesehen, wie Jessenias drei Kinder – sieben, fünf und vier Jahre alt –, fröhlich zählten, wie viele Kakerlaken sie zerquetscht hatten. Jessenia war sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig. Sie sah gut aus, hatte gewelltes schwarzes Haar, einen breiten Mund und eine unglaublich helle, fast vampirartige Haut. Sie war ruhelos und redete ohne Punkt und Komma; es war liebenswert, aber immer dasselbe. Peter war überzeugt, dass sie kokste, so wie Richard, und dass sie eine Affäre mit dem achtzehnjährigen Neffen ihres Mannes hatte, der sich die Wohnung mit ihnen teilte.
    Alle hatten Affären. Jessenia und ihr totenstiller Geliebter mit den schwarzen Schuljungenlocken, dem immer gleichen weißen T-Shirt und dem tätowierten Coquí-Frosch auf dem Fingergelenk, Richard und Inès (er zog in regelmäßigen Abständen ein und aus), Poppa und eine hübsche Achtundzwanzigjährige namens Xiomara. Als meine Mutter aus dem Krankenhaus kam, brachte Poppa Xiomara zum Essen mit. Ich fragte meine Mutter, wie sie denn so sei, und sie sagte, Xiomara sei unheimlich freundlich und fröhlich, wobei ich sofort an Jessenia denken musste und dann an die ebenso zuvorkommenden Vanessa und Amber, die Peter inzwischen als die »Dachbodendirnen« bezeichnete.
    So beschissen das Leben all dieser Frauen auch war, waren sie doch immer nett und unkompliziert. So waren sexy Frauen eben, dachte ich. Sie lachten lautlos, öffneten den Mund, als würden sie lachen, und hielten die Hand lässig vor die Lippen; großzügig verteilten sie Komplimente und berührten andere, als seien sie Hunde oder Katzen, die man nach Belieben streicheln konnte. Sie behandelten junge Mädchen ebenso zuvorkommend wie alte Männer; für sie gab es keinen Unterschied zwischen Mädchen, die bewundernd zu ihnen aufschauten, und alten Männern, die sie wie Göttinnen verehrten. Als Sexgöttin musste man einen kühlen Blick auf die Welt bewahren, aber ihr mit

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