Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
seinen Augen war zu lesen, was er dachte.
„Bist du wieder wohlauf?“
Anna blinzelte fragend.
„Du hast Ellesmere Manor so überstürzt verlassen, Eleanor und Lady Sheldon waren in Sorge.“
„Ich konnte nicht bleiben“, erklärte Anna lahm.
„Tee?“
„Oh, ja, sehr gerne.“ Sie streckte ihre Hand nach der Kanne auf dem Tisch vor ihr aus.
„Nein, lass mich das machen.“ Christopher schenkte ihnen beiden Tee ein und reichte Anna ihre Tasse.
Der Tee besaß einen bläulichen Schimmer, und der Geruch, den das Gebräu verströmte, war ihr nicht fremd.
„Grüner Tee?“ Sie sah Christopher an.
Er lächelte dünn und nickte. „Einer der Vorteile, wenn man im Haus eines gelbhäutigen Barbaren bewirtet wird.“ Seine Stimme klang spöttisch.
Anna runzelte die Stirn und ließ ihre Tasse sinken.
„Dein Ton gefällt mir nicht“, entgegnete sie.
Christopher zuckte mit den Schultern.
„Ist es das, was du von dir denkst?“ Er hielt sich für einen heidnischen Barbaren? In Anna keimte Mitgefühl auf. Sie kannte den ton und die Borniertheit einiger seiner Mitglieder. Sie legte ihren Kopf schief und musterte Christopher nachdenklich. Vielleicht war er doch ein netter Mann.
„Du wirst zugeben, dass du nicht hier wärst, wäre ich nicht so reich.“
Diese Unterstellung war ein Schlag in Annas Magengrube. Sie erhob sich mit aller Grazie, die sie aufbringen konnte.
„Ich weiß nicht, was ich mir dachte.“ Ihre Stimme klang so kalt, wie sie sich in diesem Moment fühlte. „Ich habe für eine Weile tatsächlich geglaubt, wir hätten Gemeinsamkeiten.“
Sie machte sich diesmal nicht die Mühe, das Betreten des Teppichs zu vermeiden. Vielleicht hatte der ton recht. Vielleicht war Christopher ein asiatischer Wilder, unfähig, sich britischen Verhaltensweisen anzupassen. Und seinen Ruf hatte er gewiss nicht ohne Grund erhalten.
Sie steuerte zielstrebig auf die Tür zu, wurde aber eines Widerstands gewahr. Etwas zog an ihrem Rock. Sie sah hinunter und erkannte Christophers Hand in den Falten ihres Kleides.
„Lass los“, grollte sie.
Sie zerrte an ihrem Ausgehrock, und als Christopher nicht nachgab, stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen.
Das Reißen des Stoffes dröhnte in Annas Ohren. Entsetzt starrte sie auf ihre Hüfte, an der sich die Naht verabschiedete. Das Unterteil fiel einem Wasserfall gleich zu Boden.
Zornig schüttelte Anna die Stoffbahnen ab und stieg aus dem Rock. Sie drehte sich um und sah sich Christopher gegenüber. Seine Arme umschlossen sie. Sie kämpfte gegen seinen Griff an.
„Lass mich gehen!“ Verbissen rang sie nach Freiheit.
„Nicht, bevor du mir gesagt hast, warum du gekommen bist!“ Unerbittlich hielt er Anna fest.
Erregung schoss durch Annas Körper. Zwischen ihren Beinen pochte die Lust in überraschender Heftigkeit.
„Ich wollte das wilde Tier in seinem goldenen Käfig begaffen!“, schnappte sie und versuchte, ihre Gefühle zu überspielen. Sie sah das Glitzern in Christophers Augen und erkannte, dass er sie durchschaute.
Ehe Christopher so recht wusste, was er tat, war er aufgestanden und zog die heftig um sich schlagende Anna in seine Arme. Plötzlich erschien ihm nichts reizvoller, als die kleine Wildkatze zu zähmen.
Christophers Lippen pressten sich auf die ihren. Seine Hände hielten nach wie vor ihre Arme und ihren Oberkörper fest, sodass all ihre Versuche, sich zu befreien, an seiner ihr überlegenen Kraft scheiterten.
„Wage es nicht, mich zu beißen“, flüsterte er an ihrem Mund.
Prompt schlugen sich Annas Zähne in seine Unterlippe.
Christopher zuckte zurück. Der Schmerz sauste bis in seinen Hinterkopf, und auf seiner Zunge schmeckte er Blut. Annas Blick war wild, und ihr Brustkorb hob und senkte sich hektisch.
Christopher leckte sich über seine Lippen, und Annas Augen weiteten sich. Er genoss die Furcht und die Ungewissheit in ihrem Gesicht, die ihm verrieten, dass sie sich gegen Bestrafung und Schmerz wappnete.
Er lächelte Anna an, und ihre Reaktion erzählte ihm, dass sie sich auf das Schlimmste vorbereitete. Einen kurzen Augenblick lang dachte er daran, sie hier, im Salon auf dem Teppich, zu nehmen. Doch er entschied, dass sie für ihren aggressiven Angriff auf ihn ein paar Schreckmomente mehr verdient hatte.
Er packte sie, warf sie über seine Schulter und stiefelte mit wilder Entschlossenheit in den Gang und die Treppe hinauf.
Anna schrie gellend.
Anna zappelte vergeblich auf Christophers Schulter. Ihn zu beißen war
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