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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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wir es gesehen haben. Er muss es selber sagen, dann wird alles gut.
    Und was ist mit dem Ring, frage ich.
    Jameelah verdreht die Augen.
    Na gut, wir gehen den Ring holen, sagt sie, aber zuerst schwörst du. Schwör, dass du nichts verrätst, niemandem.
    Ich schwöre, sage ich.
    Pinkischwur, flüstert Jameelah und hält mir ihren kleinen Finger hin.
    O.   k., sage ich, Pinkischwur, und dann hake ich meinen kleinen Finger in Jameelahs kleinen Finger und küsse meinen Daumen.

Im Fernsehen wachen Menschen, denen was Schlimmes passiert ist, schweißgebadet aus ihren Träumen auf, nachts träumen sie immer und immer wieder von der einen schlimmen Sache, aber wenn sie aufwachen, sind sie froh, dass dieses Mal alles nur ein Traum war, sie schlafen erschöpft wieder ein, und alles ist wieder gut. Genau daran merkt man, dass das alles nur Schauspieler sind, vor allem am Schweißgebadetsein merkt man es, ich meine, was muss denn bitte passieren, dass man schweißgebadet ist, schweißgebadete Menschen gibt es nicht, nur im Fernsehen, und schon allein daran merkt man, dass den wenigsten Menschen irgendwas wirklich Schlimmes passiert, das weiß ich jetzt, jetzt, wo mir selber was Schlimmes passiert ist.
    In Wirklichkeit ist es nämlich genau umgekehrt. Nachts ist alles ruhig und dunkel, aber wenn am Morgen die Helligkeit durch mein Fenster fällt, ist alles wieder da, Jasnas blutige Kleider, der Geruch von Blut und Schmuck und Tigermilch, und alles Unangenehme wird ganz groß, viel größer, als es in Wirklichkeit ist, Jessis Geschrei, Mamas Sofa samt Kissen, und alles Schöne wird ganz klein, die Sonne, das Essen im Freibad, der Planet, die Ferien. Manche Dinge sehen seitdem anders aus oder hören sich anders an, zum Beispiel denke ich, ich sehe draußen den Mond, dabei ist es nur ein kaltes Kranlicht, oder ich denke, die Soße, wie sie aufkocht und Blasen wirft, hat ein Gesicht, sie seufzt mich an, dabei ist es doch nur Miracoli. Die ganze Welt ist verzerrt und verschoben, so als würde man ständig schielen. Erst wenn es dunkel wird, hört es auf, alles wird still, aber jetzt im Sommer wird es immer erst so spät dunkel, deswegen wünschte ich, es wäre Winter.
    Er streute am Tatort Rosenblätter hat der Typ von der Bild geschrieben. Neben der Schlagzeile ist ein Foto von Amir, das Klassenfoto von der Skifreizeit, von letztem Jahr. Jameelah steht direkt neben ihm, über ihre Augen haben sie einen schwarzen Balken gemacht, bescheuert so ein Balken, nützt überhaupt nichts, man kann Jameelah genau erkennen, sie grinst und macht wie auf jedem Klassenfoto mit ihren Fingern ein V hinter Amirs Kopf, sodass Amir bescheuert aussieht. Spätestens da müsste man eigentlich sehen, dass Amir kein Mörder sein kann, aber durch die Schlagzeile über dem Foto ist es genau andersrum, das Lustige macht alles noch viel gruseliger.
    Die Zeitung liegt immer noch in meinem Zimmer vor meinem Bett, aber heute werde ich sie endlich wegschmeißen, heute ist der richtige Tag dafür, denn heute fahren wir endlich Amir besuchen. Das ist überhaupt das Einzige, worauf ich mich freue, darauf und wenn ich in der Kinderklinik die Weisheitszähne rauskriege.
    Jameelah und ich sind schon vor über zwei Wochen zu Amir gefahren, aber da mussten wir gleich wieder zurück.
    Ihr könnt nicht einfach hier rein, hat der Mann an der Pforte zu uns gesagt. Er hat uns eine Telefonnummer gegeben und Amirs Aktenzeichen, und bei der Telefonnummer mussten wir einen Besuchstermin vereinbaren. Weil wir noch minderjährig sind, dürfen wir Amir nur in Begleitung eines Erwachsenen besuchen, aber Nico hat in seinem Personalausweis aus 1996 1988 gemacht, so war es am einfachsten, weil dazu muss man an der Neun und der Sechs nur zwei kleine Halbkreise ziehen, mit einem Stift, den es nur in dem Laden zu kaufen gibt, in dem Nico immer seine Dosen kaufen geht. Nico glaubt man das, der sieht eh viel älter aus, als er ist. Bei der einen Telefonnummer haben wir eine neue Telefonnummer bekommen, bei der hat Nico angerufen und einen Sprechschein beantragt, ohne den Sprechschein darf man nicht mit Amir sprechen. Den Sprechschein mussten wir uns am Arsch der Welt abholen gehen, und an ebendiesem Arsch der Welt mussten wir auch noch eine halbe Ewigkeit auf das Ding warten.
    Der Sprechschein liegt in dem Zauberbuch für neue Hexen, gleich neben Lukas’ Foto, da liegt er gut, da geht er garantiert nicht verloren, hat Jameelah gesagt, und das glaube ich Jameelah aufs Wort, dass sie einen

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