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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Nico mich an.
    Und jetzt zisch endlich ab, sage ich.
    Wie du willst, sagt er und steht auf.
    Ich schaue rauf zum Zehnmeterturm. Da steht Amir vorn am Rand und starrt runter aufs Wasser.
    Nicht runterschauen, denke ich.
    Amir breitet die Arme aus.
    Mach mal einer Rihanna Burana an, ruft er, ich mach jetzt den doppelten Amir-Burger Royal TS mit extra Fleisch und scharfer Soße!
    Die Sicherheitsleute gucken ein bisschen doof. Amir springt, in der Luft packt er sich an die Knie und zieht sie zu sich ran, dann platscht er auf, die fetteste Arschbombe, die ich seit Langem gesehen habe. Die Leute klatschen und johlen. Prustend und über das ganze Gesicht strahlend schwimmt Amir rüber zum Beckenrand.
    Na, fragt er, wie war ich?
    Wolke, sage ich, du warst einfach Wolke.
     
     
    Es dämmert langsam, unsere Taschen baumeln uns müde um die Beine.
    Ungerecht, dass ich dieses Jahr nur zwei Mal ins Schwimmbad konnte, sagt Amir, als wir die Straße in Richtung Spielplatz runtergehen.
    Nächstes Jahr ist auch noch ein Jahr, sage ich.
    Wer weiß, was dann ist, sagt Amir.
    Gar nichts wird sein.
    Hoffentlich, sagt er, dabei werden seine Schritte plötzlich langsamer.
    Wir müssen da nicht rüber, sage ich, wir können auch hintenrum gehen.
    Nein, warte mal.
    Eine Weile stehen wir einfach so rum. Ich bin barfuß, meine kaputten Flipflops habe ich auf dem Nachhauseweg weggeschmissen, die Straße unter meinen Füßen ist warm, aber nicht mehr so warm wie noch vor ein paar Wochen um diese Uhrzeit, daran merkt man, dass der Sommer bald rum ist, denke ich, aber es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich darüber nicht traurig bin.
    Amir zieht die Nase hoch.
    Los, sagt er, wirft seine Tasche über die Schulter und marschiert auf den Spielplatz. Wir gehen durch den Sandkasten rüber zum Rutschehäuschen, dort bleibt Amir stehen.
    Da oben habt ihr gesessen, sagt er, oder?
    Ja, sage ich, da oben haben wir gesessen.
    Und dahinten ist es passiert, sagt Amir, oder?
    Ja, dahinten ist es passiert.
    Amir dreht sich einmal um sich selber, er schaut sich um, als wäre er noch nie in seinem Leben hier gewesen, als wäre das hier nicht unser Spielplatz, sondern so was wie das Mahnmal am anderen Ende vom Tiergarten, und genauso wie die Touristen, die am Mahnmal stehen und ernst gucken, schaut Amir über den Spielplatz. Früher, als das Mahnmal noch neu war, haben wir manchmal dort gespielt, wir sind wie blöde über das Stelenfeld gehüpft oder haben uns unten in der Senke versteckt, bis Noura halb wahnsinnig vor Sorge um uns wurde, aber die Stadt hat es dann verboten, sie haben gesagt, das hier ist ein Mahnmal und kein Spielplatz, aber für mich ist das Mahnmal immer ein Spielplatz geblieben. Nur jetzt, jetzt wo ich Amir über unseren Spielplatz blicken sehe, da merke ich, unser Spielplatz ist kein Spielplatz mehr.
    Amir geht durch den Sandkasten zurück zu unseren Bäumen. Vor seiner Linde bleibt er stehen, er lässt seine Tasche ins Gras fallen und fängt an zu klettern.
    Komm, ruft er und schaut zu mir herunter.
    Ich schmeiße meine Schwimmsachen neben Amirs ins Gras und klettere langsam hinterher. Meine nackten Füße patschen auf die Rinde. Keine Ahnung, wie lange das her ist, dass ich wo richtig hochgeklettert bin. Seltsam, dass das einfach irgendwann aufhört, das mit dem Klettern, dass man noch nicht mal mehr den Moment ausmachen kann, in dem man damit aufgehört hat. Erwachsene wissen doch immer, wann sie aufgehört haben zu rauchen, zu trinken, zu stillen, aber wann man aufgehört hat, auf Bäume zu klettern oder Murmeln zu spielen oder Barbie, das weiß man schon viel früher nicht mehr, das weiß man schon dann nicht mehr, wenn man noch gar nicht richtig erwachsen ist.
    Die kleinen herzförmigen Blätter von Amirs Linde werden oben in der Baumkrone immer dichter, die Äste dicker und dunkler. Über mir sehe ich Amir auf einem dicken Ast hocken.
    Hier, sagt er und zeigt neben sich auf den Ast, auf dem er hockt, das ist übrigens der Beweis.
    Ich kann nichts sehen, sage ich.
    Amir kramt in seiner Hosentasche rum und holt ein Handy raus.
    Hast du wieder eins, frage ich.
    Ist das alte von Tarik. Lag in meinem Zimmer, als ich wiederkam, sagt Amir und leuchtet mit dem Handy auf den Ast.
    Krass, sage ich und schaue auf den kurzen Wollfaden, der vom Ast runterhängt. Die Rinde sieht seltsam aus, wie ein Arm, dem man was abgebunden hat, wo die Haut mit den Jahren über das Abgebundene hinweggewachsen ist. Ich schaue zwischen den Blättern

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