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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Jameelah, aber Jameelah rührt sich nicht, sitzt mit verschränkten Armen und stumpfem Blick auf ihrem Stuhl. Vorsichtig setze ich mich neben sie.
    Hast du das gehört, sage ich, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Alles wird gut.
    Wie in Zeitlupe dreht Jameelah den Kopf in meine Richtung. Ich zucke zurück.
    Verräterin, flüstert sie und schaut mich an. Wenn Blicke töten könnten.

Seit Kurzem ist Ramadan. Eigentlich mag ich Ramadan, die Männer sitzen tagsüber wie weggetreten auf den Bierbänken vor den Spätis herum und machen nichts anderes, als mit geschlossenen Augen an ihren Perlenketten zu drehen und darauf zu warten, dass endlich die Sonne untergeht.
    In der Schule ist es lustig. Die halbe Klasse hat Hunger und macht nur Blödsinn. Orkhan und Tayfun kriegen ständig ihre zehn Minuten. Heute ist Orkhan beim Stuhlkippeln nach hinten gegen die Bundesländerlaubsägearbeit gekracht, die Bundesländerlaubsägearbeit ist mit irrem Lärm auf den Boden geknallt, und als die ganze Klasse losgebrüllt hat, ist die Struck so schlimm ausgeflippt, dass ich kurz dachte, jetzt kippt sie auch gleich um.
    Alle sind hibbelig wie sonst nur Jessi, aber dann wird es dunkel, und überall geht das Licht an, für einige Zeit wird es still auf der Straße, nur aus den Fenstern dringt leises Gelächter und Geschirrklappern. Nach und nach kommen die Leute aus ihren Häusern, die Frauen tragen Tupperdosen, man wünscht sich gegenseitig ein frohes Fest, und das Beste ist, dass die Kinder so lange wach bleiben dürfen, wie sie wollen. Ramadan ist wie einen Monat lang jeden Tag Silvester, nur ohne Knallen. Normalerweise mag ich Ramadan. Normalerweise kommt Jameelah am Abend vorbei und bringt einen Teller Reis mit gekochten Möhren und Rosinen vorbei. Wir sitzen auf dem Balkon und essen uns satt, trinken Tigermilch aus der Müllermilch Schoko, sodass Mama nichts merkt, und denken uns gute A-Wörter aus. Ramadan ist ein A-Wort, also machen wir, wenn Ramadan ist, Ramadan von der O-Sprache und sprechen stattdessen A-Sprache, die ist schwerer, aber es geht schon, aus Filter wird nicht Folter, sondern Falter, aus Schulter wird Schalter und Anna-Lena würde nicht länger Frieda Giga sondern Frieda Gaga heißen, das passt eh viel besser zu ihr, ich wette, Jameelah würde das genau so sehen, aber dieses Jahr kann Jameelah nichts genauso sehen wie ich, weil wir keinen einzigen Abend gemeinsam auf dem Balkon sitzen und A-Sprache sprechen, Jameelah und ich, wir sprechen überhaupt nicht mehr miteinander.
    Mit meinen Schwimmsachen stehe ich bei der Stanitzek vorm Laden und rauche eine von den Pall Malls, die ich von Rainer geklaut habe. Die Sonne knallt. Ich mag hier nicht stehen, ich schaue rüber zur Haustür. Amir soll endlich kommen, nicht dass Jameelah noch auftaucht und mich hier stehen sieht, denke ich und male mit den Flipflops Kreise auf die staubige Straße, aber andererseits, wenn sie jetzt kommen würde, könnte ich vielleicht ein letztes Mal probieren, normal mit ihr zu reden, wobei das mit dem Zettel am Briefkasten, das war so was von arm, was will man denn mit so einer noch reden.
    Nicht klingeln, Verräterschwein, ich bin schon weg hat auf dem Zettel gestanden, den sie am ersten Schultag an ihre Haustür geklebt hat. Und dann in der Schule, bei der neuen Sitzordnung, da ging es genauso weiter. Seit wir lesen und schreiben können, sitzen Jameelah und ich nebeneinander, ich an der rechten und Jameelah an der linken Seite, damit unsere Arme sich beim Schreiben nicht ständig anrempeln. Die Struck setzt uns zwar ab und zu auseinander, aber das hält nie lange, wir sitzen am Ende eh wieder nebeneinander, zuerst beim Wittner, dann bei allen anderen Lehrern und am Ende auch wieder bei der Struck, nur dieses Mal nicht, dieses Mal haben wir wie immer nach den Sommerferien vor der ersten Stunde die Tische zurechtgeschoben, und als die Struck zu Jameelah und mir gemeint hat, ihr hier vorn, damit ich euch im Auge habe, hat Jameelah einfach den Kopf geschüttelt und gesagt, ich will nicht neben der da sitzen.
    Das Schuljahr fängt ja gut an, hat die Struck gesagt und breit gegrinst, richtig gute Laune hat sie auf einmal gehabt. Sie hat Jameelah in die letzte Reihe gesetzt und mich ganz nach vorn.
    Und, habt ihr schöne Ferien gehabt, hat die Struck gefragt, als wir alle gesessen haben, ganz braun gebrannt ist sie gewesen von ihrem afrikanischen Urlaub. Ich habe nur so vor mich hin gestarrt. Neben mir der Platz war leer.
    Wo ist Amir, hat die

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