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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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Stunden tot, höchstens.«
    »Todesursache?«, fragte der Anführer der Cuervos, als wäre er ein Beamter des Innenministeriums.
    »Sonnenstich. Extreme Erschöpfung. Unterernährung. Verzweiflung. Der berühmte Cocktail Mexiko, der uns in Gringoland so bekannt gemacht hat.«
    Lucy kniete sich neben die Frau und brachte ihr das Haar mit einem Kamm in Form. »So sieht sie besser aus«, war alles, was sie sagte.
    Elena, die sich von der Gruppe abgesondert hatte, kam angelaufen und zeigte auf die etwa hundert Meter entfernten Ausläufer eines Berges. »Sie sind da entlang weitergegangen. Sie sind in die verdammten Canons. Da sind überall Sachen verstreut. Als hätten sie unnötigen Ballast abwerfen wollen.«
    »Na dann los«, sagte Jimmy. »Erst die Lebenden und dann die Toten. Wir kommen später zu der alten Frau zurück.«
    Der Geländewagen mit Vierradantrieb verschwand zwischen den Felsen und folgte dem Verlauf eines ausgetrockneten Flussbettes. »Wie im Märchen«, sagte der Anwalt. »Sie haben eine sichtbare Spur aus Kleidern, Dosen und Plastiktüten hinterlassen.«
    »Sie müssen sehr verzweifelt sein«, meinte Elena.
    »So verzweifelt, wie wir sie suchen«, fügte Lucy hinzu.
    Jimmy nahm wieder das Funkgerät und teilte den Fundort des Leichnams der Frau mit. Die Antwort war kurz: Die Polizei sei schon auf dem Weg.
    »Nachts halten die Kojoten und die Wölfe ein Festmahl mit den toten Migranten … oder den verletzten«, erklärte Elena Morgado. »Aber das passiert nur nachts und eher selten.«
    Plötzlich öffnete sich der Canon. Jimmy konnte gerade noch rechtzeitig bremsen. Da war ein Rudel wilder Hunde beim Schmaus, und das mitten am Tage. Jimmy nahm sein Gewehr und schoss ein paar Mal in die Luft. Das Rudel stob auseinander und versammelte sich in fünfzig Metern Entfernung erneut. Sie waren offensichtlich nicht bereit, auf die vom Himmel gefallenen Speisen zu verzichten. Lucy stieg vorsichtig aus, auf der Hut vor den aggressiveren Hunden, die Anstalten machten, zurückzukommen und sich ein weiteres Stück Frischfleisch zu holen.
    Morgado behielt sie im Auge. Er war nervös. Lucy ließ ein Knie zu Boden sinken und wartete. Eine Salzsäule, dachte der Anwalt, aber allein durch ihre Anwesenheit fühlte er sich sicherer.
    Aus dem Rudel sprang ein Hund mit dunklem Fell hervor, der größer und stärker war als die übrigen.
    Lucy schoss im Gegensatz zu Jimmy nur einmal. Der kräftige Hund machte einen kurzen Satz und fiel dann tot zu Boden. Das übrige Rudel überlegte nicht lange. Es stürzte sich auf seinen reglosen Körper und verschlang ihn in wenigen Minuten. Es war ein Kampf jeder gegen jeden.
    Lucy schoss ein weiteres Mal, und das Ritual wiederholte sich. Diesmal schleppte das Rudel jedoch den Körper mit in den Canon hinein, und so stellten sie keine Bedrohung mehr für den Rettungstrupp dar.
    Elena nutzte die Gelegenheit, auf das Bündel zuzugehen, das inmitten des ausgetrockneten Flussbettes lag. Trotz all ihrer Kaltblütigkeit, ihrer paramilitärischen Ausbildung und ihres Bikerherzens legte sie die Hand auf den Mund und brach in Tränen aus.
     
4
     
    Sie waren ein Paar gewesen. Mann und Frau, umschlungen in der Stunde des Todes. Jetzt waren sie eine Masse aus Fleisch und gebrochenen Knochen. Ein Blutfleck, umschwirrt von summenden Fliegen.
    Die Polizei würde gleich da sein.
    »Wir haben Pech«, sagte Jimmy. »Wir konnten keinen retten. Wir hätten früher aufbrechen müssen.«
    Morgado ärgerte sich. Er, der sich beklagt hatte, dass sie zu nachtschlafender Zeit aufgebrochen waren, musste einsehen, dass sein Gejammer völlig fehl am Platze gewesen war.
    Der Pick-up der lokalen Polizei tauchte auf. Zwei uniformierte Beamte und ein junger Mann mit schwarzem Hemd und Levi’s mit einer Digitalkamera in der rechten und einem Miniaufnahmegerät in der linken Hand stiegen aus. Jimmy verzog das Gesicht, als er ihn kommen sah. Der junge Mann schritt sofort zur Tat und machte Fotos von den Überresten des Paares. »Das ist fantastisch!«, rief er und grinste dabei. »Besser als die alte Oma da hinten.«
    »Hey, hast du denn überhaupt kein Schamgefühl?«, fragte Morgado ihn.
    »Kenn ich doch nicht«, erwiderte der Journalist und knipste unermüdlich weiter. Morgado wusste nicht, ob er die alte Frau oder das Schamgefühl meinte.
    »Und wenn das hier deine Eltern wären?«
    »Umso besser. Ich bin absoluter Profi. Wenn mein Haus in Flammen aufgeht, würde ich das mit der Kamera festhalten und nicht

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