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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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fragte die frisch gebackene Mutter trotz der Schmerzen.
    Elena wischte das Blut und den Schleim von dem Neugeborenen und legte es auf die Brust der Frau. »Sehen Sie selbst! Ein prächtiger Junge.«
    »Danke«, flüsterte die Mutter. »Danke.«
    »Die Plazenta«, sagte Morgado. Zehn Minuten später klatschte das ganze Lager Beifall und er war der Held des Tages.
    Inzwischen war es acht Uhr. Im Schatten waren es bereits knappe fünfundvierzig Grad.
    »Dieser Tag wird höllisch«, prognostizierte Jimmy.
    »Wir müssen«, sagte Toño, ein dürrer Blonder mit schlauem Blick. »Jede Minute bedeutet ein vom Hitzekollaps bedrohter Migrant mehr.«
    »Dann mal los«, sagte Lucy. »Bleibst du hier oder kommst du mit, Miguelito?«
    Der Anwalt hatte sich die Hände abgetrocknet und fühlte sich nach der Geburt wacher. Er hatte mehr Adrenalin im Blut denn je. »Ich komme mit!«, rief er. »Ihr habt mir versprochen, dass das kein Tag auf dem Land wird, sondern harte soziale Arbeit, also müsst ihr jetzt auch euer Wort halten.« Er war mit einem Satz im Wagen und stellte die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
     
3
     
    »An was erinnert dich das?«
    Morgado öffnete ein Auge und sah die Kulisse der Berge. Dann öffnete er beide Augen und blickte in die gleißende Sonne, die die Welt in eine schneeweiße Wand verwandelte, auf der alles unscharf flirrte. »Lawrence von Arabien?«, spekulierte der Verteidiger der Menschenrechte.
    »Nein, ich spreche von hier, von Mexicali«, erwiderte Jimmy.
    Morgado gab seinen Versuch, sich ein kurzes Nickerchen zu gönnen, auf und starrte auf die karge Fläche um sie herum mit ihren salzigen Zähnen. »Das ist wie eine andere Welt, wie ein anderer Planet«, sagte er schließlich.
    »Ja, wie auf dem Mond oder auf dem Mars, oder?«
    »Was hast du geraucht?«, fragte Lucy.
    »Lass ihn«, sagte Elena. »Jimmy schwebt gerade auf einer esoterischen Welle.«
    »Von wegen esoterisch«, erwiderte Lucy. »Weißt du, wie dieser Mistkerl mich erobert hat?«
    »Er hat dir von den Ufos in der Rumorosa erzählt und gesagt, er würde sie nur dir allein zeigen.«
    Lucy machte ein enttäuschtes Gesicht. »Dir hat er das auch erzählt, nicht wahr, Elenita?«
    »Natürlich. Oder hast du das nicht gerochen mit den Begegnungen der dritten Art?«
    »Aber sie fand nur mit einem einzigen Typen statt. Und der war alles andere als außerirdisch.«
    Morgado hätte sich nicht mehr zu Hause fühlen können. Nach langen Jahren in Mexico City war es erfrischend, an den Ort zurückzukehren, wo die Leute unverblümt über ihr Leben und die lächerlichen Kleinigkeiten des Alltags sprachen.
    »Worauf ich hinauswollte«, erklärte Jimmy, »die Laguna Salada und dieses ganze nördliche Wüstengebiet sind wie mein Spielplatz. Ich kam mit Professor Montaño hierher, dem dicken Montaño, als ich in der fünften Klasse war. Es war das erste Mal, dass ich mit vor Staunen offenem Mund dastand vor so viel … so viel Nichts. Das reine, kahle Nichts. Es war eine Exkursion des Instituto Salvatierra und …«
    »Du warst am Instituto Salvatierra? Das wusste ich ja gar nicht.«
    »Ja.« Jimmy zündete sich eine Alas an. »Auch ich hatte meine Phase als Jungspund, als verhätschelter Junior. Aber ich habe rechtzeitig nachgedacht und mich nicht wie du und der Rest der Sippe, als es ihnen gut ging, zum Handlanger von Koreanern, Japanern, Chinesen und den Gringos gemacht. War es nicht so?«
    Morgado lächelte über diese Offenbarung.
    »Aber kommen wir zu Professor Montaño zurück. Er war Geologe oder Vulkanologe oder irgend so etwas. Er hat uns gelehrt, die Wüste zu sehen und zu deuten. Und wisst ihr was? Früher hatte ich gedacht, das hier habe keinen Wert. Nichts als Sand. Salz. Karger Stein und verrückter Wind. Aber der dicke Montaño hat mir gezeigt, dass es prähistorische Fossilien, in Felsen gehauene Bilder und Edelsteine gibt. Es gibt sogar Gold und seltene Metalle, diese radioaktiven.«
    »Dort sieht man etwas blitzen«, unterbrach ihn Lucy. »Ich hoffe, das ist nicht radioaktiv.«
    »Wo?«, fragte Elena.
    Eine Minute später hielten sie vor dem improvisierten Lager einer Gruppe von Migranten. Unter einer Decke lag der Körper einer älteren Frau. Morgado fühlte ihren Puls und schüttelte den Kopf. Nichts mehr zu machen.
    »Wann, glaubst du, ist sie gestorben?«, fragte Jimmy.
    »Sie ist noch warm. Aber bei den hohen Temperaturen besagt das nicht viel. Die Totenstarre ist noch nicht eingetreten. Ich schätze mal, sie ist ungefähr drei

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