Tijuana Blues
eines: Alle Nachbarn, die ich befragte, waren verängstigt, nervös.«
»Na und?«
»Am Tag nach meiner Befragung schnitt mir ein Geländewagen den Weg ab, als ich zu meiner Ranch zurückfuhr. Drei üble Typen stiegen aus, die erwähnten chemitas. «
»Und was haben sie gesagt?«, fragte Morgado.
»Sie haben keine Fragen gestellt. Sie haben mich zur Sau gemacht, bis sie genug hatten. Sie fragten, was mich die Sache mit dem Zahnarzt angehe. Ich zeigte ihnen meinen gezogenen Zahn, das Loch und die vernähte Wunde. Sie lachten mir ins Gesicht, und dann zogen sie ab. Das ist meine Geschichte, Fernandito. Deckt sie sich mit deiner?«
»Nein. Tut sie nicht.«
»Wie gut«, sagte der Bauer und schwieg.
Jimmy gab Morgado ein Zeichen. Zeit aufzubrechen. Der Rechtsanwalt schaute auf die Uhr und sah, dass bereits eine Stunde vergangen war und dass er, ohne es gemerkt zu haben, sechs Tassen Kaffee getrunken hatte.
Jimmy zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und ließ sie auf dem Tisch liegen. »Heute übernehme ich die Runde«, sagte er. »Vielen Dank für alles.«
»Mistkerl!«, rief Don Andrés. »Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir ein Bier auf dich getrunken.«
11
»Ich habe vergessen, Don Claudio nach dem Namen des Zahnarztes zu fragen.«
Jimmy hörte gar nicht zu. Er suchte in seinem Koffer nach einer CD, die er nicht finden konnte. »Sie haben sie mir wieder geklaut!«, rief er schließlich resigniert.
»Worum gehts? Berühmte Märsche der russischen Revolution oder der Chor der Volkssänger von Rotchina?«
Jimmy überhörte den Affront. »Die neue von Madonna.«
Das hatte Morgado nicht erwartet. »Madonna? Das material girl? «
»Welches material girl? Jetzt ist sie auf dem Eso-Trip. Sagt zumindest Lucy. Sie hört sie mehr. Und ich schau mir den Hintern von dieser Madonna an. Er sieht noch genauso knackig aus wie zu ihren Anfangszeiten.«
»Wo fahren wir hin?«, wollte der Verteidiger der Menschenrechte wissen.
»Ich habe alle Daten. Diese Geschichte, die Don Claudio erzählt, kennen wir alle im Sanborn’s. Er hieß Matías Orozco. Er war kein Linker, er gehörte erst recht nicht der Kommunistischen Partei an, die damals im Untergrund agierte, außerhalb des Gesetzes.«
»Und dann wurde er entführt.«
»Aber ja. Eine Weibergeschichte. Er hatte ein Verhältnis mit der Frau eines Bundesbeamten. Sie haben ihn in der Laguna Salada erledigt. Seine Frau brauchte fünf Jahre, um seine Überreste zu finden. Aber das beweist nur, dass die Laguna dazu diente, Gegner verschwinden zu lassen.«
»Politische Gegner und Nebenbuhler.«
»Genau. Ab jetzt musst du deinen Job machen und ich meinen.«
»Und was ist mein Job?«
Jimmy machte eine Vollbremsung vor dem Hotel Lucerna. »Die Listen abrufen, die dir deine Sklavin bestimmt schon geschickt hat.«
»Lupita, sie heißt Lupita. Und sie ist nicht meine Sklavin.«
»Dann sag ihr das mal, damit sie das auch weiß. Ich werde mich derweil mit den Patronenhülsen und anderem Kram herumschlagen.
Nimm den Füller! Vielleicht hast du eine bessere Verwendung dafür als ich. Ich hole dich morgen um dieselbe Zeit ab.«
Am Empfang bat Morgado um Zugang zu einem Computer. Wenige Augenblicke später rief er seine Mails ab. Die Sklavin hatte ihre drei Aufgaben bestens erfüllt: Die Binationale Kommission für die Rechte der Migranten gewährte ihm eine Verlängerung von zehn Werktagen an der Grenze. Das Außenministerium schickte ihm eine Zusammenfassung mit fünfzehn Fällen von binationalen Konflikten zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Und die beste Nachricht: Er hatte eine Mail vom Colegio de México mit der Liste der politischen Verschwundenen.
Morgado druckte alles aus. Währenddessen dachte er an das Mexicali der Fünfzigerjahre, an die Grenze Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war ein Land des Westens; wild. Es zählte nur das Gesetz der Macht. Ein Kriegsgebiet zwischen yanquis und Roten: Wie viele Spione haben sich hier herumgetrieben? Wie viele Geheimnisse sind in den friedlichen Straßen dieses ruhigen, langweiligen Dorfes ausgetauscht worden?
Der Drucker war fertig, und Morgado ging mit den neuen Daten auf sein Zimmer. Endlich kann ich in Ruhe lesen, dachte er. Kaum hatte er sich bequem auf das Bett gesetzt, da klopfte es an die Zimmertür. »Wer ist da?«, fragte er.
»Die mit dem Tattoo auf dem Hintern«, hörte er Elenas Stimme.
Vorbei mit dem himmlischen Frieden, dachte Morgado und ließ den Wirbelsturm
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