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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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brüllte der Junge, und jetzt müßten sie fünf Minuten warten, bis die Wellen sich wieder gelegt hätten. Kann schon sein, dachte Mr. Bones, als er zum Ufer zurückpaddelte, aber mal sehen, was er für Augen macht, wenn ich ihm das Ding hier vor die Füße lege. Nicht jeder Hund kann solche Tricks. Doch als er vor dem wütenden Jungen stand und den Stein fallen ließ, erwartete ihn nur ein Tritt in die Rippen. »Du blöder Köter«, sagte der Junge. »Warum hast du unser Wasser so aufgewühlt?« Mr. Bones jaulte vor Schmerz und Überraschung, und augenblicklich brach zwischen den Jungen der nächste Streit aus. Einige verurteilten den Tritt, andere begrüßten ihn, und es dauerte nicht lange, bis zwei der Jungen miteinander ringend über den Boden rollten und so den uralten Kampf zwischen Macht und Gerechtigkeit weiterführten. Mr. Bones ging zur Sicherheit ein paar Meter beiseite, schüttelte sich das Wasser aus dem Fell und wartete darauf, daß ihn einer der netteren Jungen zurückrief. Doch obwohl er gewillt war, das Kriegsbeil zu begraben, würdigten sie ihn nicht eines Blickes. Das Getümmel ging weiter, und als es schließlich vorbei war, bemerkte ihn einer der Jungen, hob einen Stein auf und warf ihn in seine Richtung. Er verfehlte ihn um einen knappen Meter, aber Mr. Bones hatte verstanden. Er machte kehrt und rannte davon, und obwohl ein oder zwei Jungen ihn zurückriefen, hörte er nicht auf zu rennen, bis er am anderen Ende des Parks angekommen war.
    Die folgende Stunde verbrachte er schmollend in einem Weißdorngestrüpp. Nicht daß der Tritt besonders schmerzhaft gewesen wäre, aber seine Moral hatte einen weiteren Knacks bekommen, und er war enttäuscht, weil er die Lage so falsch eingeschätzt hatte. Er würde lernen müssen, vorsichtiger zu sein, sagte er sich, weniger vertrauensselig. Lieber so lange das Schlimmste von den Menschen erwarten, bis sie einem ihre guten Absichten bewiesen hatten. Eine traurige Lektion, die er da so spät im Leben lernen mußte, fand er, aber wenn er mit den noch zu erwartenden Schwierigkeiten klarkommen wollte, würde er härter werden und sie beherzigen müssen. Was er brauchte, waren einige allgemeine Prinzipien, feste Verhaltensregeln, auf die er sich in schwierigen Situationen stützen konnte. Nach seinen jüngsten Erfahrungen war unschwer zu erraten, wie der erste Punkt auf der Liste lauten sollte: Keine Kinder mehr. Keine Menschen unter sechzehn, vor allem keine Jungen. Ihnen mangelte es an Mitleid, und wenn der Seele eines Zweibeiners diese Eigenschaft fehlte, war er nicht besser als ein tollwütiger Hund.
    Als er gerade aus dem Gestrüpp kriechen und weiterziehen wollte, entdeckte er einen guten halben Meter vor seiner Schnauzenspitze einen weißen Turnschuh. Er sah ganz genauso aus wie der Turnschuh, der gerade in seinem Unterleib gelandet war, und Mr. Bones hätte sich beinahe an seinem eigenen Speichel verschluckt. War der Flegel zurückgekehrt, um sein Werk fortzusetzen? Der Hund zog sich weiter in das Gestrüpp aus Dornen und niedrigen Zweigen zurück und verhakte sich mit dem Fell darin. Was für eine mißliche Lage, dachte er, aber welche Möglichkeiten blieben ihm denn? Auf allen vieren flach an den Boden gedrückt und mit einem Dutzend Stacheln im Rücken, mußte er sich versteckt halten und konnte nur darauf hoffen, daß der Grobian das Warten leid werden und verschwinden würde.
    Doch dieses Glück war Mr. Bones nicht beschieden. Der Rüpel wich keinen Zentimeter, weigerte sich aufzugeben, und statt seinen Übermut in einer anderen Ecke des Parks auszulassen, kauerte er sich vor das Gebüsch und drückte die Zweige auseinander, um hineinzulinsen. Mr. Bones knurrte und machte sich bereit, den Schurken notfalls anzuspringen.
    »Keine Angst«, sagte der Junge. »Ich tu dir nichts.«
    Das kannst du deiner Großmutter erzählen, dachte Mr. Bones, und weil er immer noch viel zuviel Angst hatte, um in seiner Wachsamkeit nachzulassen, fiel ihm nicht auf, daß die sanfte Stimme, die durch das Gestrüpp drang, kein Trick war, sondern einem völlig anderen Jungen gehörte.
    »Ich hab gesehen, was sie mit dir gemacht haben«, sagte der neue Junge. »Das sind Blödmänner, diese Jungs. Ich kenn sie aus der Schule. Ralph Hernandez und Pete Bondy. Wenn du dich mit diesen Hirnis zusammentust, hast du nichts als Ärger.«
    Da hatte der Sprecher seinen Kopf schon weit genug hineingesteckt, daß Mr. Bones sich das Gesicht genau ansehen konnte, und endlich begriff er,

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