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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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es fast Morgen, und eine Dreiviertelstunde später zwangen ihn die ersten Strahlen der Sonne, wieder die Augen zu öffnen. Er stand auf, schüttelte sich, und in dem Augenblick überkam ihn eine bleierne Schwere. Es war, als würde plötzlich alles dunkel, als fände in seiner Seele eine Sonnenfinsternis statt, und obwohl ihm nie klar wurde, wie er das so genau wissen konnte, war er sich sicher, daß in diesem Augenblick Willy die Welt verließ. Es war genau so, wie der Traum es verheißen hatte. Sein Herrchen lag im Sterben, und gleich würde Schwester Margaret ins Zimmer kommen und ihm den Spiegel vor den Mund halten, und dann würde sich Mrs. Swanson die Hände vors Gesicht schlagen und anfangen zu schluchzen.
    In diesem verhängnisvollen Moment gaben Mr. Bones’ Beine nach, und er fiel zu Boden. Ihm war, als hätte ihn die Luft selbst mit ihrem Gewicht niedergedrückt, und in den folgenden Minuten lag er zwischen den Kronkorken und leeren Bierdosen und konnte sich nicht rühren. Er hatte das Gefühl, sein Körper löse sich auf, seine Lebenssäfte strömten davon, und wenn er erst mal ausgeblutet war, würde er sich in einen steifen Kadaver verwandeln, in einen Klumpen einstigen Hundes, der in der Sonne Marylands verdorrte. Dann, so unerwartet, wie sie gekommen war, fiel die Last wieder von ihm ab, und er spürte, wie sich das Leben in ihm regte. Doch inzwischen sehnte sich Mr. Bones nach dem Ende, und statt aufzustehen und den Ort zu verlassen, an dem er Willys Tod gespürt hatte, rollte er sich auf den Rücken, spreizte die Läufe und reckte Kehle, Bauch und Genitalien gen Himmel. Etwaigen Angriffen wehrlos ausgeliefert, wartete er darauf, daß Gott ihn mit einem Blitz erschlug, so gewillt war er, sich nun, da sein Herrchen tot war, als Opfer darzubieten. Wieder vergingen ein paar Minuten. Mr. Bones schloß die Augen, wappnete sich gegen den gleißendhellen, ekstatischen Schlag von oben, aber Gott beachtete ihn nicht - vielleicht konnte er ihn auch nicht finden - , und als sich die Sonne ihren Weg durch die Wolken bahnte, begriff Mr. Bones allmählich, daß ihm an diesem Morgen der Tod noch nicht beschieden war. Er rollte sich herum und stand auf. Dann hob er den Kopf gen Himmel, holte tief Luft und jaulte lang und ausgiebig.
    Gegen zehn Uhr hatte er sich einer Meute von einem halben Dutzend zwölfjähriger Jungen angeschlossen. Zuerst war ihm das wie eine Fügung des Schicksals erschienen, und ein, zwei Stunden lang wurde er auch fürstlich behandelt. Die Jungen fütterten ihn mit Brezeln, Hot Dogs und Pizzakruste, und Mr. Bones erwiderte ihre Großzügigkeit, indem er alles Erdenkliche tat, um ihnen zu gefallen. Er hatte nie viel mit Kindern zu tun gehabt, aber im Lauf der Jahre genug mitbekommen, um zu wissen, daß sie unberechenbar waren. Diese Jungen schienen ihm zudem noch besonders wild und ungestüm. Sie sprühten nur so vor Spott, Großspurigkeit und Angebereien, und nachdem Mr. Bones eine Weile bei ihnen gewesen war, fiel ihm auf, daß sie einen ungewöhnlichen Spaß daran hatten, sich gegenseitig zu hauen und unvermittelt Kopfnüsse zu verpassen. Schließlich landeten sie in einem Park, und etwa eine Stunde lang spielten die Jungen Football, wobei sie sich mit derartiger Wucht anrempelten, daß Mr. Bones schon befürchtete, sie könnten sich ernstlich weh tun. Es war gegen Ende der Sommerferien. Bald würde die Schule wieder beginnen, und die Jungen waren erhitzt und gelangweilt und auf Krawall gebürstet. Als das Spiel vorbei war, gingen sie an den Teich und ließen Steinchen übers Wasser titschen. Dies verkam jedoch schnell zu einem Wettkampf, wessen Stein die meisten Sprünge machte, und das wiederum führte zu heftigem Streit. Mr. Bones, der Konflikte in jeglicher Form verabscheute, beschloß, die zunehmend haßerfüllte Atmosphäre dadurch aufzulockern, daß er ins Wasser sprang und eines der Steinchen zurückholte. Es hatte ihn nie sonderlich interessiert, Sachen zu apportieren. Willy hatte diesen Zeitvertreib stets als unter der Würde von Mr. Bones’ Intelligenz abgetan, aber Mr. Bones wußte, wie beeindruckt die Menschen waren, wenn die Hunde mit Stöckchen oder Bällen zwischen den Zähnen zu ihren Herrchen zurückkamen, und deshalb überwand er seine innere Abneigung und sprang. Dabei wühlte das Wasser ziemlich auf, und noch während er untertauchte und den versinkenden Stein in die Schnauze nahm, konnte er einen der Jungen fluchen hören, er habe alles versaut. Das Spiel sei im Eimer,

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