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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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aber das war etwas anderes, als zu wissen, warum es weh tat, und obwohl er erpicht darauf war, die Stelle zu untersuchen, ließ er es für den Augenblick bleiben, weil er merkte, daß ihm die Kraft fehlte, sich entsprechend einzurollen. Da lag er längst in seiner Hundehütte, ganz verträumt auf der linken Seite, und Polly kniete vor der offenen Tür, streichelte ihm den Kopf und fütterte ihn mit kleinen Stücken eines medium gebratenen Steaks. Das Fleisch schmeckte ausgezeichnet, aber eigentlich hatte er gar keinen Appetit und fraß nur ihr zuliebe. Es hatte aufgehört zu regnen. Dick war mit Tiger irgendwohin gefahren, und Alice war noch in der Schule, doch bei Polly zu sein war ihm Trost genug, und während sie ihm weiter über den Kopf strich und ihm versicherte, daß alles wieder in Ordnung kommen würde, wunderte er sich, was zum Teufel ihm zugestoßen war und warum es so weh tat.
    Zu gegebener Zeit konnte er den Schaden begutachten und feststellen, was ihm fehlte, aber da er ein Hund war und kein Biologe oder Professor der Anatomie, hatte er noch immer keine Ahnung, was mit ihm geschehen war. Wohl waren der Hodensack leer und seine beiden alten Begleiter verschwunden, aber was hieß das genau? Er hatte sich immer gern dort geleckt, es sich gar seit wer weiß wie langer Zeit zur Gewohnheit werden lassen, doch außer daß die empfindlichen Kugeln fehlten, schien alles andere in der Gegend intakt zu sein. Woher sollte er wissen, daß die fehlenden Teile ihn zum vielfachen Vater gemacht hatten? Abgesehen von der zehntägigen Affäre mit Greta, dem Husky aus Iowa City, waren seine Romanzen immer nur von kurzer Dauer gewesen - impulsive Vereinigungen, spontane Liebschaften, wildes Toben im Heu -, und er hatte nie einen der Welpen zu Gesicht bekommen, die er gezeugt hatte. Und selbst wenn, wie hätte er auf den Zusammenhang kommen können? Dick Jones hatte ihn zu einem Eunuchen gemacht, doch in seinen eigenen Augen war er noch immer der Liebesprinz, der König der hündischen Romeos, und er würde bis zum letzten Atemzug um die Damen buhlen. Dieses eine Mal blieb ihm die tragische Dimension seines Lebens verborgen. Das einzige, was zählte, waren die Schmerzen, und nachdem sie abgeklungen waren, dachte er nie wieder an den Eingriff.
    Die Tage vergingen. Mr. Bones paßte sich dem Rhythmus des Haushalts an, gewöhnte sich an die verschiedenen Aktivitäten rund um sich herum, lernte den Unterschied zwischen Wochentag und Wochenende erkennen, konnte den Klang des Schulbusses von dem des Paketdienstlasters unterscheiden und kannte die Gerüche der Tiere, die in dem ans Grundstück angrenzenden Wald lebten: Eichhörnchen, Waschbären, Streifenhörnchen, Kaninchen, alle möglichen Vögel. Er wußte nun, daß Vögel nicht der Mühe wert waren, doch wann immer ein flügelloses Geschöpf auf den Rasen hinaustrat, nahm er es auf sich, den Schädling vom Grundstück zu jagen, indem er bellend und knurrend auf ihn losstürzte. Früher oder später würden die Viecher schon mitbekommen, daß er an die verdammte Laufleine gekettet war, doch im Augenblick schüchterte schon seine Anwesenheit die meisten von ihnen genügend ein, daß das Spiel spannend blieb. Abgesehen von dem Kater natürlich, aber das war ja bei Katzen immer so. Der schwarze Nachbarskater hatte längst die genaue Länge der Kette ermittelt, die Mr. Bones mit der Laufleine verband, und das hieß, daß er die Grenzen von dessen Bewegungsfreiheit an jeder Stelle des Gartens kannte. Stets hockte er sich an eine Stelle, die wie geschaffen dafür war, bei Mr. Bones für größtmögliche Frustration zu sorgen: ein paar Zentimeter außerhalb seiner Reichweite. Mr. Bones konnte nichts daran ändern. Er konnte entweder dastehen und sich die Seele aus dem Leib bellen, während der Kater ihn anfauchte und mit ausgefahrenen Krallen nach seinem Gesicht schlug, oder er konnte sich in seine Hundehütte zurückziehen und so tun, als ignoriere er ihn, auch wenn das verdammte Mistvieh dann auf das Dach der Hütte sprang und sich direkt über seinem Kopf die Krallen an den harten Fichtenschindeln wetzte. Die Alternative hieß, gekratzt werden oder sich verhöhnen lassen; so oder so war da für ihn kein Blumentopf zu gewinnen. Ab und zu allerdings bekam er von dieser Hundehütte aus auch ein paar kleinere Wunder zu sehen, vor allem nachts. Einen Silberfuchs zum Beispiel, der um drei Uhr früh über den Rasen huschte und wieder verschwand, bevor Mr. Bones auch nur einen Muskel rühren

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