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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ausgegeben. Er hatte fast einen ganzen Tag lang in der Hitze geschuftet, und er würde schon dafür sorgen, daß Arbeit und Geld nicht umsonst waren. Er war bereits ins kalte Wasser gesprungen, und soweit Mr. Bones das beurteilen konnte, hieß es von nun an Schwimmen oder Untergehen.
    Am nächsten Morgen verschwanden sie in alle Himmelsrichtungen. Um Viertel vor acht hielt ein Bus vor dem Haus, der Alice in die Schule brachte. Vierzig Minuten später fuhr Dick in Pilotenuniform zum Flughafen, und kurz vor neun schnallte Polly Tiger in den Kindersitz ihres Wagens und fuhr ihn in die Spielgruppe. Mr. Bones konnte es kaum fassen. Sollte so künftig sein Leben aussehen? fragte er sich. Ließen sie ihn einfach morgens sitzen und erwarteten, daß er den ganzen Tag allein zurechtkam? Das war doch wohl ein schlechter Witz. Er war zum Gefährten erschaffen, zu einem, mit dem man sein Leben teilte, und er brauchte Tuchfühlung und Ansprache, mußte Teil einer Welt sein, in der es mehr als nur ihn selbst gab. War er bis ans Ende dieser Welt gelaufen und hatte diesen Hort der Glückseligkeit gefunden, nur um von den Leuten, die ihn aufgenommen hatten, verhöhnt zu werden? Sie hatten ihn zu einem Gefangenen gemacht. Sie hatten ihn an diesen teuflischen auf- und abhüpfenden Draht gekettet, an dieses metallene Folterinstrument, das ununterbrochen quietschte und summte, und jedesmal, wenn er sich bewegte, bewegten sich die Geräusche mit - als wollten sie ihn daran erinnern, daß er nicht mehr frei war, sondern sein Geburtsrecht für ein bißchen Hafergrütze und eine häßliche, vorfabrizierte Hundehütte verscherbelt hatte.
    Gerade als es so aussah, als würde er gleich etwas Unbesonnenes, Gemeines tun - zum Beispiel die Blumen im Garten ausbuddeln oder die Rinde von dem jungen Kirschbaum abknabbern -, kam Polly ganz unerwartet zurück, fuhr mit ihrem Wagen die Einfahrt hinauf, und schon sah die Welt wieder rosig aus. Sie kam nicht nur in den Garten und befreite ihn von seinen Fesseln, und sie ließ ihn nicht nur ins Haus, ja sogar hinauf in ihr Schlafzimmer - nein, während sie sich umzog, sich die Haare kämmte und sich schminkte, teilte sie ihm auch noch mit, daß er sich an zwei Arten von Regeln halten müsse: Dicks und ihre. Wenn Dick in der Nähe war, mußte er draußen bleiben, doch wenn er fort war, war sie der Boß, und das hieß, daß Hunde ins Haus durften. »Er meint es nicht böse«, sagte Polly, »aber er ist manchmal ziemlich stur, und wenn er sich erst mal auf was versteift hat, kann man sich auf den Kopf stellen, er läßt es sich nicht ausreden. So geht’s eben zu bei den Jones, Sparky, daran kann ich nichts ändern. Ich bitte dich bloß darum, dieses kleine Geheimnis für dich zu behalten. Es geht nur uns beide was an, und auch die Kinder dürfen nicht wissen, was wir da tun. Verstehst du mich, Alter? Es muß unter uns bleiben.«
    Aber das war noch nicht alles. Als habe diese Solidaritäts- und Liebeserklärung allein nicht ausgereicht, durfte Mr. Bones zum erstenmal seit fast zwei Jahren wieder in einem Auto mitfahren. Nicht eingezwängt auf dem Boden hinter dem Rücksitz, wo man ihn sonst immer hingesteckt hatte, sondern vorn auf dem Beifahrersitz, bei geöffnetem Fenster, so daß er sich den süßen Wind Virginias um die Nase wehen lassen konnte. Es war eine wunderbare Kompensation, so die Straßen entlangkutschiert zu werden, die schöne Polly am Steuer des Plymouth Voyager und das Brummen des Motors in den Knochen, während ihm von all den vorbeifliegenden Gerüchen wie verrückt die Nase zuckte. Als ihm schließlich klar wurde, daß dieser Wagen zu seinem neuen Alltag gehörte, war er von den sich dadurch eröffnenden Aussichten geradezu verzückt. Das Leben mit Willy war gut gewesen, aber vielleicht war dieses hier noch besser. Denn die traurige Wahrheit war, daß Poeten nicht Auto fuhren, und selbst wenn sie zu Fuß gingen, wußten sie nicht immer wohin.
    Der Besuch im Hundesalon war eine ziemliche Tortur, aber er ließ die zahlreichen Attacken mit Seife und Schere über sich ergehen, so gut er konnte, weil er sich nach all den Wohltaten, die ihm zuteil geworden waren, nicht beklagen wollte. Als sie schließlich anderthalb Stunden später mit ihm fertig waren, war er ein vollkommen anderer Hund. Verschwunden die verfilzten Felltroddeln an seinen Pfoten, das zottelige Durcheinander auf seinem Rücken, die Haare, die ihm in die Augen hingen. Er war kein Landstreicher mehr, machte niemandem mehr Schande.

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