Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
ungern allein lassen. Er kam ans Tor, und eine verängstigte Wache bemerkte sein Kommen.
»Wer ist da?« Die Stimme des Soldaten bebte vor Furcht. Nutz es aus, solange du noch kannst, dachte Cheftu. »Der hohe Herr Cheftu! Öffne das Tor, Wache!«
Cheftus autoritäre Stimme verfehlte ihre Wirkung auf den Soldaten nicht. Cheftu durchschritt das Tor und tastete sich so schnell wie möglich vor in Richtung Audienzsaal. Er mußte dort kurz vorbeisehen, ehe er zu Chloe zurückkehrte. Man konnte die Menschen im Raum fast schmecken. Ihre Angst lag in der Luft wie ranziges Parfüm. Jedesmal, wenn irgendwer schnaufte, riefen sie: »Wer ist das?« Die Angst vor der Dunkelheit und den damit verbundenen Übeln war offensichtlich ein wesentlicher Bestandteil des ägyptischen Bewußtseins, dachte der Gelehrte in ihm zerstreut. Er wandte sich an die ganze Gruppe. »Wann sollen die Israeliten eintreffen?« Ihm antwortete ein Gewirr von Stimmen, die den Tod der Apiru forderten oder die Götter anflehten und unter denen einige wenige ihm mitteilten, daß man die Sklaven noch nicht gefunden hatte. »Wo ist der Prinz?« fragte er und stieß mit dieser Frage auf vollkommene Ratlosigkeit. Es gab Gerüchte, daß er in seinem Zimmer betete oder daß er eine Armee zusammenstellte, die alle Israeliten töten sollte. Alle schienen zu wissen, daß nur die Israeliten in die Wüste ziehen wollten und daß die Mehrheit der Apiru in Ägypten bleiben würde, selbst wenn die Israeliten abwandern würden.
Er machte sich auf den Rückweg zu seinen Gemächern. Er mußte mit Chloe sprechen.
Chloe hatte eben den Gang zu ihren Gemächern erreicht, als sie hörte, wie jemand ihren Namen, ihren ägyptischen Namen, zischte. Sie wirbelte herum und versuchte, die Stimme zu orten.
»Schwester«, sagte die Stimme, »die Priesterinnen sind zusammengerufen worden. Wir müssen Res Aufmerksamkeit gewinnen. Er ist krank und braucht unsere Hilfe. ReShera wollte schon deine Aufgabe übernehmen, aber wir haben nicht gewagt, das zuzulassen. Sie sieht nur mit dem rachsüchtigen Blick Sechmets, nicht mit dem gnädigen Auge Hathors. Komm mit, Herrin, bitte.«
Chloe gab sich alle Mühe, mit ihren Blicken das Tuch der Dunkelheit zu durchdringen, doch das war unmöglich. Die »andere« identifizierte die Stimme als die von Ankhem-Nesrt, acht Uhr. Im Gegensatz zu RaEm glaubte Chloe nicht, daß sie die Priesterin je hatte sprechen hören.
»Wirst du kommen, Priesterin? Ich habe Angst …« Die leise Stimme verstummte zu einem Schluchzen unter verschluckten Tränen.
Chloe drückte sich mit ausgestreckten Armen von der Wand weg. »Natürlich, Schwester«, sagte sie und spürte gleich darauf einen schlanken Körper in ihren Armen.
Das Mädchen schluchzte still vor sich hin. »Wie konnte das geschehen, große Herrin? Wieso haben uns die Götter verlassen? Die Ma’at ist zerstört!«
In der Stimme des Mädchens schwang Hysterie. »Sie wird sich wieder einfinden, Ankhem-Nesrt«, versicherte Chloe mit fester Stimme. »Doch wir müssen die Forderungen des Israelitengottes erfüllen. Er allein kann uns durch diese Zeit hindurchhelfen.«
Das Mädchen schwieg, während sie sich durch den Gang tasteten. »Wie kann er mächtiger sein als Amun-Re?« fragte sie laut. »Nie, nie zuvor ist uns Res Macht verborgen geblieben! Nicht in allen Dynastien aller Pharaos vor uns. Nicht einmal in der Zeit der Hyksos! Was ist das für ein Gott?« Aus ihrer Stimme klangen Argwohn und Respekt.
»Er ist das Ende und der Anfang. Was war und ist und kommen wird.« Die Worte fielen ihr wie von selbst von der Zunge, und Chloe erkannte, daß es Worte waren, die sie ihr Leben lang in der Kirche gehört hatte. Dann begriff sie, daß sie tatsächlich daran glaubte. »Komm, Schwester, wir müssen schnell zum Tempel.«
Leichter gesagt als getan. Die Straßen waren leer, doch die Atmosphäre war gespenstisch, denn überall waren die versteinerten Angstschreie eines überwältigten Volkes zu hören. Die Welt war auf den Kopf gestellt, und Chloe spürte die Angst durch die Gassen schleichen. So schnell wie möglich eilten sie durch die absolute Dunkelheit, geleitet von Ankhem-Nesrts Orientierungssinn. Chloe fürchtete, daß in Kürze ein totales Chaos ausbrechen würde.
Die Menschen hatten zuviel Angst. Um ein Haar hätte ein junger Mann mit schnellem Schwert sie aufgespießt. Es war eindeutig gefährlich, draußen zu sein, wo sich eine Katastrophe zusammenbraute.
Chloes Beine begannen bereits zu schmerzen,
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