Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
tränenerstickter Stimme.
»Ja.« Cheftu zog sie an seine Brust. Dann lösten sie sich aus dem Bann, in den das Gemälde sie gezogen hatte, und folgten einer kurzen Treppe hinauf in den Vorraum der Grabkammer. Er war so gut wie leer; ein großer Teil der Wandzeichnungen war bereits skizziert, aber noch nicht ausgeführt worden. Cheftu schätzte, daß sie sich innerhalb des Felsens nun knapp über Bodenhöhe befanden. »Das ist unglaublich«, sagte er. »Ich habe immer gewußt, daß Senmut ein brillanter Architekt ist, aber das hier ist genial, einfach genial.«
Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
Sie wandten sich von einigen noch nicht zu Ende gegrabenen Irrgängen ab und betraten die Grabkammer. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff Chloe den Wahnsinn des Goldes. Ihr Herz schlug schneller, ihre Augen brannten, und ein paar Minuten lang konnte sie nur daran denken, wieviel sie wohl mitnehmen könnte. Cheftu steckte die Fackeln in verschiedene Halter, dann sahen sie sich mit staunenden Augen um. In jeder Ecke standen lebensgroße Statuen. So auch die des Anubis, dessen Kragen mit unzähligen Edelsteinen besetzt war und dessen Obsidiankörper so fein gearbeitet war, daß man sogar die Sehnen in der Schulter des Schakals erkennen konnte. In den übrigen Ecken standen Amun, Hathor und Hapi – Amun aus Gold, Hathor aus Granit, Hapi aus Grünstein. Alle waren mit Juwelen behängt und in so feines Leinen gekleidet, daß es aussah wie aus Spinnweben genäht.
Am anderen Ende des Raumes standen die goldbeschlagenen Sarkophagdeckel, die alle auf den granitenen Sarg warteten, in dem der Leichnam liegen würde, ehe er in den nächsten und übernächsten und überübernächsten Sarkophag eingeschlossen würde wie eine russische Puppe für Riesen. Daneben warteten zwölf lebensgroße Ushebti mit vergoldeten Körpern und Onyxaugen. Es gab mit Gold, Email und Elektrum überzogene Altäre. Der Frisiertisch, den Hat als Kind besessen hatte, stand etwas abseits, mit Schminktöpfchen und Puppen bestückt und flankiert von dazu passenden Stühlen.
Dann sahen sie es, jenes Objekt, das nach seiner Entdeckung die moderne Welt wie ein Gyroskop durchwirbeln würde. Cheftu ließ sich unvermittelt in einen der vielen Stühle sinken.
»Sie muß es bei dem Großputz vor ihrem zornigen Vater versteckt haben«, murmelte er fassungslos.
Chloe kniete davor nieder und las die tief eingekerbte Kartusche im Fuß der Statue: »Heil dir, Horus-im-Nest, Prinz Ramoses, Makepre, Mächtiger Stier der Ma’at, Der-uns-das-Lichtbringt, Geliebter Sohn Aa-kheber-Re Tehutimes, Thutmosis des Ersten, Pharaos, ewig möge er leben! Leben! Gesundheit! Wohlergehen!«
Sie blickte in das Gesicht Moshes, des Prinzen von Ägypten und des Propheten Israels. Sie berührte den Goldarm mit den fein ausgemeißelten Muskeln, die schwarz umrahmten dunklen Augen, den Zierkragen aus Türkis, Lapis und Gold, der als Einzelstück auf den breiten goldenen Schultern ruhte.
Er war lebensgroß, größer als die meisten Männer, hatte in perfekt pharaonischer Manier den linken Fuß vorgestellt und mit der Linken den Ankh des Lebens gepackt, während er in der Rechten die Feder der Wahrheit hielt. Er trug den blauen Helm eines Soldaten, aus dem stolz die Kobra und der Geier hervorragten, die den Leib der Hoffnung Ägyptens beschützen sollten.
Der Künstler hatte sich genau an sein Modell gehalten; die Nase war schärfer als bei den meisten ägyptischen Skulpturen, das Kinn ausgeprägter, die Augen lagen tiefer.
Da die Statue selbst aus Gold bestand, bestand der Schurz aus eingelegtem Lapislazuli, ein millimetergenau passendes, in unzähligen Winkeln versetztes Mosaik, mit dem die Illusion von Falten erweckt werden sollte. Die Schärpe war ein Streifen aus Goldleder mit bestickten und perlenbesetzten Rändern. Die Troddeln am Ende waren ungleichmäßig, doch die Namenskartusche war liebevoll gestickt. Chloe strich darüber und drehte sie, fasziniert von der Weichheit des Stoffes, um. Erschrocken quietschte sie auf. Cheftu trat an ihre Seite, und gemeinsam lasen sie mit großen Augen die mit kindlicher Hand geschriebene, hieratische Widmung auf der Innenseite: »Meinem Halbbruder Ramoses. Mögen die Götter dir gewogen sein, und bitte vergiß nicht, mein Pony zu füttern.« Und dann, fein säuberlich in richtigen Hieroglyphen: »Hatschepset, Zweite Prinzessin des Großen Hauses.«
»Sie muß fast der Schlag getroffen haben, als sie ihm in Avaris begegnet ist«,
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