Timeless: Roman (German Edition)
bedeutete, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe. Er hat sie nicht geheiratet! … Etwa meinetwegen? Sie spürte, wie ihr die Knie zitterten.
»Übrigens habe ich auch noch nie etwas von einem Philip Walker gehört«, bemerkte Dorothy. »Und du, Walter?«
Walter schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass es überhaupt einen Philip Walker gab .«
Michele zuckte zusammen.
»Was ist los mit dir, Liebes?«, erkundigte sich Dorothy besorgt.
Michele schluckte schwer. »Alles in Ordnung. Ich habe mir nur gerade eingebildet, etwas gesehen zu haben, aber es ist nichts.« Sie irren sich , beruhigte sich Michele. Philip ist genauso real wie ich .
»Da du dich gerade mit der Geschichte der Windsors befasst, solltest du mal auf dem Dachboden herumstöbern«, schlug Dorothy vor. »Dort sind all die alten Familienfotos in Schachteln mit Jahresangaben aufbewahrt.«
Das munterte Michele ungeheuer auf, denn es klang vielversprechend. Vielleicht würde sie dort etwas finden … ein paar Informationen zu Philip.
»Das klingt großartig«, sagte sie. »Ich gehe gleich nach oben.«
Der Dachboden der Windsors war aufgeräumt und keineswegs so schaurig und nasskalt, wie Michele ihn sich vorgestellt hatte. Hier gab es jede Menge Schachteln, die fein säuberlich angeordnet waren. Die erste Schachtelreihe war mit den Namen unbekannter Windsors etikettiert. Über diesen lag, völlig fehl am Platz, ein Heft mit Kompositionen. Neugierig griff Michele danach. Auf dem Deckblatt stand: Lieder von Lily Windsor, 1925 . Michele grinste. Lily war in Micheles Alter gewesen, als sie diese Lieder komponiert hatte. Wie unglaublich es doch war, handgeschriebene Texte aus der Zeit zu finden, in der Lily eine ebenso ehrgeizige Songschreiberin gewesen war wie Michele. Sie legte das Heft nicht aus der Hand, während sie sich weiter umsah.
Als sie auf den hinteren Teil des Dachbodens zusteuerte, sah sie auf einer der Schachteln einen Namen, den sie kannte: George Windsor, 1859–1922. War das Claras Dad? Michele verspürte ein leichtes Schuldgefühl, denn sie erinnerte sich, dass sie Clara versprochen hatte, ihr zu helfen. Doch dann hatte Philip all ihre Gedanken beherrscht und sie hatte sie ganz vergessen.
Rasch öffnete Michele die Schachtel, die allerlei Krimskrams enthielt: Geschäftsunterlagen, Briefe und Fotos. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem der verblassten alten Schwarz-Weiß-Fotos gefesselt. Es war ein Foto der Frau auf dem Bild, das Clara ihr gezeigt hatte – Claras Mutter. Im Lauf der Jahre hatten sich die Ecken des Fotos aufgelöst, doch die Worte am unteren Bildrand waren klar zu lesen: Ich liebe dich für immer. Alanna .
Noch während Michele in den Anblick des Fotos versunken war, begann das Dachgeschoss plötzlich zu beben und sich zu drehen. Michele fiel zu Boden und schützte entsetzt ihren Kopf mit den Händen. Ist das ein Erdbeben? Sie drückte die Hände fest auf den Holzboden, kniff die Augen zusammen und spürte den vertrauten Sturz nach unten. Sie wurde wieder in die Vergangenheit geschickt.
Als das Beben und Drehen schließlich aufhörte, öffnete Michele die Augen. Finsternis umgab sie. Keine Glühbirnen leuchteten mehr, der Raum war halb leer, nur ein paar ausrangierte Möbelstücke standen herum und ein halbes Dutzend braune Schachteln.
Plötzlich erklangen Schritte auf der Treppe. Michele versteckte sich schnell hinter einem kaputten Toilettentisch. Die Tür wurde aufgerissen, und ein junges Paar betrat Hand in Hand den Raum. Der Mann hielt einen kleinen Leuchter hoch. Michele spähte um die Ecke des Toilettentischs und erkannte den dunkelhaarigen George Windsor – fast zwanzig Jahre jünger, mit einer sorglosen Miene, die sie noch nie an ihm bemerkt hatte. Er trug ein frisches weißes Hemd, eine weiße Krawatte, eine schwarze Weste und eine Nadelstreifenhose.
Die junge Frau war eine Schönheit. Sie hatte das wellige rote Haar hochgesteckt und trug eine schlichte weiße Bluse zu einem langen marineblauen Baumwollrock. Ihre schlichte Kleidung, der fehlende Hut und der Verzicht auf jeglichen Schmuck ließen darauf schließen, dass sie nicht zur Oberschicht der Windsors gehörte. Doch Georges liebevoller Blick verriet, dass es ihn nicht im Geringsten störte.
Das junge Paar lehnte sich nebeneinander an die Wand des Dachgeschosses, lächelte sich an, offensichtlich erleichtert, seine Intimsphäre genießen zu können. Die Frau, die Michele jetzt als Claras Mutter Alanna erkannte, schlang die Arme um
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