Timeless: Roman (German Edition)
empfindest.«
Langsam ließ sich Clara ihrem Vater gegenüber auf einen Stuhl sinken. »Ich möchte die Wahrheit wissen«, sagte sie gefasst. »Alles.«
George nickte. Nachdem er tief Atem geholt hatte, begann er. Während er sprach, erkannte Michele, dass er diese Geschichte noch nie zuvor jemandem erzählt hatte.
»Ich habe deine Mutter im Haus der Astors kennengelernt. An jenem Tag war ich zufällig zu früh dran, kam als Erster zum Kartenspiel mit den Herren. Als ich in die Bibliothek kam, um dort zu warten, stieß ich mit Mrs. Astors neuer Privatsekretärin zusammen – Alanna. Ich sah sie an und hatte das Gefühl … nun, es war höchst seltsam. Ich hatte das Gefühl, als habe ich jemanden, der mir nahestand, wiedergefunden, jemanden, der die ganze Zeit verschwunden war.«
Michele hatte ein seltsames Gefühl im Magen. Genauso geht es mir mit Philip.
»Sie war wie ein Traum, der Wirklichkeit wurde«, fuhr George fort. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Ich hatte nie meine Lieblingsreise als Junge vergessen, als ich meinen Vater nach County Kerry in Irland begleitet hatte. Seit damals war ich fasziniert von der irischen Kultur. Alanna zog mich in ihren Bann mit ihrem glänzenden roten Haar, ihrem leicht irischen Akzent und den fesselnden Geschichten, die sie über ihre Heimat zu erzählen wusste. Als wir uns näher kennenlernten, hatten wir das Gefühl, Seelenverwandte zu sein.« Einen Moment lang schloss George die Augen. »Als wir uns begegneten, war ich verheiratet. Henrietta und ich hatten bereits einen Sohn, und Violet war unterwegs. Natürlich habe ich meine Frau immer sehr gemocht. Aber was ich für Alanna fühlte … nun, es war das ein zige Mal, dass ich die wahre Liebe, das reine Glück erlebt habe. Du kannst dir vorstellen, wie glücklich ich war, als sie mir gestand, dass sie meine Gefühle erwiderte.«
Michele und Clara, im Bann der Geschichte, ließen den Blick nicht von George.
»Ich wollte Alanna unbedingt heiraten, doch damals war es fast unmöglich, eine Scheidung vor Gericht zu erwirken. Alanna und ich wussten beide, dass ich meine Kinder verlieren würde, wenn ich Henrietta verließ. Das konnte ich ihnen nicht antun. Und dann entdeckte Alanna, dass sie schwanger war – und geriet in Panik.« Georges Augen füllten sich mit Tränen. »Sie hatte schreckliche Angst, ein lediges Kind zur Welt zu bringen, und konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass unser Kind in Schande aufwachsen müsste.«
Michele warf Clara einen Blick zu. Sie saß bewegungslos da, ihre Miene wie erstarrt, doch ihre Augen waren voller Tränen.
»Alanna hatte einen Jugendfreund aus Irland – sie wa ren zur selben Zeit in die Vereinigten Staaten eingewan dert und kümmerten sich umeinander. Er hieß Edmond und hatte sie seit jeher geliebt.« Georges Gesicht war schmerzverzerrt. »Als Alanna ihm ihr Geheimnis anvertraute, bot er ihr an, sie zu heiraten und das Kind als sein eigenes aufzuziehen. Alanna fand, dies war die Antwort auf ihre Gebete für unser ungeborenes Kind. Sie heirateten auf der Stelle im Rathaus. Und dann, am schlimmsten Tag meines Lebens, suchte sie mich auf und erzählte mir alles, den Ehering am Finger. Sie sagte, ich sei die Liebe ihres Lebens, aber dir zuliebe müsse sie vorgeben, dass du Edmonds Kind seist, und sie würde mit ihm nach Irland zurückkehren, wo ihnen ihre Familien helfen würden, dich aufzuziehen.
Ich wollte immer dein Vater sein, und die Vorstellung, dass sich Edmond statt meiner um dich kümmerte, dich tröstete und aufwachsen sah, war mir zutiefst zuwider.« George versagte die Stimme. »Aber Alanna wollte sich nicht von dir trennen. Sie sagte, wir müssten unser Verhältnis auf der Stelle beenden, bevor irgendjemand auf die Idee käme, dass du mein Kind sein könntest. Außerdem bestand sie darauf, dich mit nach Irland zu nehmen, sobald du kräftig genug für die Reise wärst. Es war die qualvollste Zeit meines Lebens.« George holte tief Luft. »Jahrelang habe ich versucht, dich und Alanna zu finden. Ich habe einen Detektiv engagiert, und es dauerte ein Jahrzehnt, die Wahrheit herauszufinden, denn mein Detektiv konzentrierte seine Suche auf Irland. Aber ihr drei seid nie dort angekommen. Alanna und Edmond starben an der spanischen Grippe, als du vier warst, kurz bevor ihr drei nach Belfast reisen wolltet. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verzweifelt ich war, als ich hörte, dass meine Alanna tot war und unsere Tochter die ganze Zeit in einem Waisenhaus gelebt
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